Kleine Ursache – große Wirkung

Den Jahreswechsel gut überstanden? Prima. Ich habe auch keine besonderen Vorkommnisse zu vermelden. Wenn man mal von dem Malheuer zwei Tage später absieht. Zählt das noch? Was dieses Malheur mit Röhrenverstärker zu tun hat, erfahren Sie gleich. Erst das »Trauerspiel«.

Ich neige dazu, auch im tiefsten Winter, barfuß durch das Haus zu laufen. Selbst ein kurzer Gang auf die Terasse oder zur Mülltonne erledige ich nackten Fußes. So weit, so gut. Blöd wird die Geschichte, wenn sich die Zehen, derart ungeschützt, auf direktem Kollisionskurs mit Tisch- oder Stuhlbeinen befinden. Noch blöder wird es, wenn man sich – aus welchem Grund auch immer – im leichten Trab befindet. Sie ahnen was passierte?

Ein Tischbein ging eine kurze aber heftige Liason mit dem kleinen Nachbarn des linken großen Zehs ein. Es tat zwar weh, war aber noch gut auszuhalten. Das änderte sich keine fünf Stunden später. Es war nicht nur der Schmerz, sondern auch die »komische« Zeh-Haltung, die zu einem Besuch zur örtlichen Notfallambulanz führte. Nach über zweieinhalb Stunden (darin enthalten An- und Abfahrt sowie die maximalen 15 Minuten für die eigentliche Untersuchung und Diagnose) befand ich mich wieder zu Hause. Ich war zur Zwangspause verpflichtet worden. Die zuvor genannte Liason blieb ohne Folgen, wenn man die saftige Prellung unberücksichtigt lässt. »Nur« eine »blöde« Prellung. Man glaubt es nicht, was das für Auswirkungen haben kann. Tröstenden Worte des Arztes: »Mann, sein se froh, dat dat nich’ den großen oder kleinen Onkel erwischt hat.«

Was das nun mit Röhrenverstärker zu tun hat? Nun, es sind die kleinen Dinge, die einen funktionierenden Verstärker ausmachen. Und es sind die kleinen Fehlerchen, an denen man schier verzweifelt. Die großen Fehler machen sich ja dagegen sofort bemerkbar: Es knallt, oder irgend etwas gibt Rauchzeichen von sich.

Brummen, beispielsweise, ist eine große Wirkung deren Ursache meist klein ist. Nicht immer muss eine Masseschleife dafür verantwortlich sein. Manchmal streut der Netztrafo zu stark in die Übertrager hinein. Oder – bei einem Selbstbauprojekt – ist der Netztrafo nicht um 45° gegenüber dem Übertrager gedreht worden. Auch kann eine »kreative« Masseführung zu einem unausrottbaren Brumm führen. Wenn sich der Brumm auch noch in Abhängigkeit zur Stellung des Lautstärkepotis ändert, ist bei vielen Bastlern guter Rat (nicht) teuer. In selteneren Fällen liegt die brummende Ursache in defekten Siebelkos begründet.

Falsch angeschlossene Kabel (Litze) können auch eine gewisse »Eigendynamik« entwickeln. Besonders dann, wenn man stur mit einem schwarzen Kabel (Litze) arbeitet. Da kann die Masse auch schon mal am NF-Eingang landen. Das ist allerdings nicht tragisch, nur wird man – gerade als bastelnder Anfänger – doch etwas nervös, weil aus dem Verstärker laute Stille kommt. Was dagegen passiert, wenn man wegen der monochromen Kabelfarbe die Versorgungsspannung verpolt anschliesst, kann sich jeder selbst ausmalen.

Doch was nützt die »richtige« Kabelfarbe, wenn die Versorgungsspannung für eine mit 12,6V beheizte ECC82 nicht an Pin 6 der Röhrenfassung angelötet wird, sondern an Pin 9? Noch schlimmer: Man erwischt ein Steuergitter. Nur weil man »falsch herum« gezählt hat oder nicht ganz bei der Sache war. Das etwas passiert, dürfte klar sein. Die Chancen stehen aber gut, dass es dort passiert, womit man nie und nimmer gerechnet hätte. Gut, wer kühlen Kopf bewahrt und sich selber hinterfragt, was man zuletzt gemacht hatte, bevor es passierte.

Fehler in Schaltplänen sind üblich. Das passiert mir auch. Bevor man also den Lötkolben aufheizt, sollte der Plan auf Plausibilität geprüft werden. Man glaubt gar nicht, wie leicht sich eine Elko oder eine Diode falsch herum »einzeichnet«. Auch kann aus 100kΩ durchaus 10kΩ oder 100Ω werden. Einfach so.

Kurz vor Weihnachten passiert: Hilferuf hier aus der Nähe. Röhrenverstärker hat von »jetzt auf gleich« keine Tiefen mehr. (Achtung: Es folgt übelster Bocholter Slang)
»Wat hasse g’macht?«, fragte ich.
Antwort: »Nix.«
Aha.
»Wat hasse g’macht, bevor d’ nix g’macht hass’?«
Nach langem zögern: »Alles abgeklemmt, Staub ‘weggemacht’… alles wieder aufgebaut«.
Aha.
Lautsprecheranschlüsse überprüft und siehe da: Die Lautsprecher waren gegenphasig angeschlossen. Nach »Korrektur« waren auch die Tiefen wieder da.
Kleine Ursache, grosse Wirkung. Nur wer nix macht, macht auch keine Fehler.

Zurück zum Zeh.
Sollte Ihnen auch eine derartiges Malheur passieren, dann kleistern Sie den Zeh mit der üblichen Salbe ein, tapen und fixieren Sie ihn. Was Rocky Balboa mit seinen Händen konnte, kann man auch mit Zehen machen. Auch wenn er angebrochen ist. It works!
Derart fixiert hat sich meine Reichweite, die ich freihändig humpelnd und schlurfend zurücklegen kann, beträchtlich erhöht. Mittlerweile leuchtet der Zeh auch in »hübschen« Blau- und Grüntönen. Trotz des Farbenspiels wird es wohl noch ein paar Tage dauern, bis der Fuß wieder voll belastbar sein wird. Bis dahin versuche ich zu ergründen, warum der Zeh eine seltsame Anziehungskraft zu anderen Füßen oder Gegenständen ausübt…

-Friedrich Hunold-

Post Scriptum
Weil ich des öfteren auf das hiesige Idiom angesprochen wurde welches sich des öfteren in meinen Texten einschmuggelt: Einen Bocholter erkennt man daran, dass er Fenster oder Türen »los-« oder »zumacht«. Er wischt auch den Staub nicht weg, sondern »macht den Staub wech«. Licht oder Verstärker werden demzufolge auch nicht an- oder ausgeschaltet, sondern »an-« oder »ausgemacht«. ‘Dat’ ‘kricht’ man mit der ‘Muttermilich’ mit.
Wenn Sie also derartiges in Hamburg, Kassel, Berlin, Nürnberg oder München hören, dann befinden Sie sich in unmittelbarer Nähe eines waschechten Bocholters.
Achtung! Das färbt ab. Sollten Sie sich mit dem Bocholter länger als 30 Minuten unterhalten, wird auch bei Ihnen aus einem »das« oder »was« ein »dat« oder »wat«. Und dat kriechste schwer wieder wech.
😉


Update 22.01.2015: Der Zeh ist wieder »quietschfidel«.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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