Röhrenverstärker 4.0?

Röhrenverstärker sind (oder sollte ich ‘waren’ sagen?) von jeher recht einfache Gebilde. Technisch gesehen. Von den drei Grundschaltungen nimmt man Zwei, verinnerlicht sich deren Funktionen und dann hat man prinzipiell das Wesen eines Röhrenverstärkers verstanden. Aus vielmehr setzt sich so ein Verstärker auch nicht zusammen.

Bei Transistoren herrschen gleiche Bedingungen. Theoretisch lässt sich ebenfalls aus den zwei Grundschaltungen ein simpler Verstärker zusammenstellen – man darf bloss keine hohen Ansprüche haben. Damit so ein Verstärker standfest funktioniert, muss unter Einsatz von weiteren Halbleitern dafür gesorgt werden, dass sich der eigentliche Verstärker so verhält, wie gewollt.

Und so klingt es dann auch.
Beziehungsweise es klingt dann eben nicht. Richtig »durchgestylt«, dürfte man bei einem Halbleiterverstärker gar nicht von Klang reden, weil er keinen Eigenklang aufweisen kann. Wenn es zum Klang kommt, gibt es drei Möglichkeiten: eine Fehlkonstruktion (eher unwahrscheinlich), es ist gepfuscht worden (soll vorkommen) oder die Sache mit dem Lautsprecher (höchst wahrscheinlich).

Röhrenverstärker…

…sind ein technischer Anachronismus. Ja, doch. Aber ein Schöner. Wenn man nicht versucht, den Röhren Transistorklang anzuerziehen oder die Röhren mittels Halbleiter an die Kandarre nehmen zu wollen. Da gab es immer schon diverse (meist zweifelhafte) Praktiken, die sich alle nicht durchgesetzt haben. Einen Oldtimer stattet man ja auch nicht mit Elektronik aus…

Von 1.0 bis 2.0

Die Röhrentechnik an sich ist ausgelutscht und die wohl am besten dokumentierte Technik überhaupt. Da kommt die vergleichsweise junge Halbleitertechnik nicht heran. Single-Ended, Push-Pull – alles längst durch.

Drei-Null

Kommerziell und auch in Bastlerkreisen vergessen, ist beispielsweise die SEPP-Verstärkertechnik. Ich meine, so Anfang der 1990’er Jahre die (Bastler-) »Innovation«. Aus der entwickelte sich dann die OTL-Technik. Gegen Ende der 1990’er Jahre war das der Hype schlechthin.

Was man natürlich »vergaß« war, dass derartige Schaltungskonzepte auf ein Philips-Design (von 1957 mit zwei EL86) zurückzuführen war und man damals in Röhrenfernseher (NF-Teil) einsetzte, um den Übertrager einzusparen. Und dann ist da der gute Julius Futtermann. Angeblich soll sich Julius schon um 1954 mit dieser Verstärkertechnik beschäftigt haben. Die Meinungen, wer nun von wem »geklaut« hat, gehen auseinander – sollen hier aber auch nicht interessieren.

Alte Hüte, neu…

Da ja heute, mangels eigener Ideen, vieles aufgewärmt, im Tonträgerbereich »bässer« abgemischt und unter großem »TamTam« neu veröffentlicht wird, ist eigentlich die Zeit für eine neue OTL-Hype überreif. Hm… Funktioniert, glaube ich, nicht, da die dafür benötigten Röhren kaum oder gar nicht mehr produziert werden.

Der Weg zu 4.0

Ein ganz alter Hut ist die Sache mit dem »automatischem« Ruhestrom. Ja, auch ich fand so etwas damals eigentlich ganz gut. Siehe Schaltung aus »Hören mit Röhren«. Je Röhre sorgten zwei Transistoren statisch und dynamisch (!) für einen – in gewissen Grenzen – definierten Ruhestrom. Vermutlich die gleiche Schaltung wird heute kommerziell verwurstet. Mit übersichtlichem Erfolg, übrigens. Ich weiss heute, wo der Bock liegt…

Das Blöde an einer solchen Schaltung ist, dass sie zwar »geniale« Messwerte produziert, aber den Verstärker arg »zurücknimmt«. Und was passiert, wenn eine Röhre »kollabiert«, kann man sich ausmalen. Selbstkritisch leiste ich Abbitte: Sorry, für diese beknackte Idee.

In den späten 1990’er Jahren war es dann modern, mittels LED’s anzeigen zu lassen, ob der Ruhestrom im richtigen Bereich liegt. Das geht ganz einfach mittels eines Komparators (zB. LM393) und einer einstellbaren Referenzspannungsquelle. Pro Komperator und pro Röhre. Nichts dagegen, denn der Halbleiter pfuscht(e) nicht direkt in die Röhrenschaltung hinein.

3.5. Allerhöchstens.

Genau die gleich Technik wird heute aber wieder als Non-plus-Ultra aufgewärmt. Wie im Tonträgerbereich nur »bässer« abgemischt und mit einem Phantasienamen versehen (den man sich Trademarkt – nicht die Schaltung!). Der Juli 2017 war der erste Monat, wo ich das wieder zu sehen bekam.

Diesmal muss eine einzige (!) einstellbare Referenzspannungsquelle vier (!) als Komperator geschaltete OP-Verstärker (TL084) und damit auch die Endröhren, »verwalten«. Die zeigen diesmal nicht an, ob der Ruhestrom in einem richtigen Bereich liegt, sondern »regeln« das sofort direkt. Die Werbung verspricht da zudem sehr viel… Vor allem Wartungsfreiheit.

Ich gehe übrigens jede Wette ein, dass derartige Verstärker – ohne diesen OP-Amp – unter anderem Namen erhältlich sind. Diese Dejavu-Erlebnisse habe ich lieb gewonnen. Wirklich.

Bin mal gespannt, wann diese »Warmduscher-Röhrenverstärker« wegen »Hobbyaufgabe« (»Hat immer treu gedient…«, »Trenne mich schweren Herzens von…«) weiter verkauft werden. Vor allem, wenn man die Werbeaussagen tatsächlich für bare Münze nimmt. Noch ist dieser Verstärkertypus und damit die Röhren hierzulande (!) relativ neu am Markt… In anderen europäischen Ländern ist man übrigens schlauer geworden (!) und empfiehlt dort die OP-Amp Extrahierung… Bei exakt dem gleichen Röhrenverstärkermodell.

Jetzt aber: Vier Punkt Null

Noch schlimmer treibt man es im HighEnd-Bereich. Da lässt man einen ausgewachsenen Computer auf die Röhren los. Gute Güte! Was haben die Röhren denn Schlimmes getan?

Ja gut, gegen Ende der Lebensdauer kann schon mal was passieren. Das kann man aber schadensmäßig auf einen Widerstand begrenzen. Wenn man natürlich Hochlast- oder gar 4W-Metallschichtwiderstände verbaut, die ja unter allen Umständen halten müssen, dann wird der Schaden natürlich auch »HighEnd«…

Nun weiss ja jeder, der auch nur über rundimentäre Programmierkenntnisse verfügt, dass es keine fehlerfreie Software gibt. Es gibt noch nicht einmal hundertprozentig fehlerfreie Chips. Was ist, wenn ein Messwert in einen unsicheren (weil defekten) Messbereich landet? Oder, weil Röhren ja eine individuelle Aufheizzeit haben, zum Ende der (zu kurzen) Messwerterfassung dann einen Messwert quasi produzieren, der falsch ist?

Oder aufgrund einer kalten Lötstelle… Oder weil ein Bauteil sich unter Belastung nicht ganz so verhält, wie gedacht… Oder alles zusammen? Natürlich fängt der Computer an, nach allen Regeln seiner implantierten Logik, einzugreifen.

Back to the Roots!

Aber pronto.
Röhren sind Individualisten. Sie werden von Individuen zusammengebaut. Individualisten kann man nicht einfach so »kontrollieren«. Die Geschichte zeigte und zeigt es – das geht irgendwann daneben.

Bezogen auf Röhren und Ruhestrom, weiss das jeder, der nicht nur den Spannungsabfall an den Kathodenwiderständen misst, sondern – aus Spass – mal die Höhe der negativen Vorspannung am Gitter. Die Röhren mögen zwar alle beispielsweise mit 35mA Ruhestrom gefahren werden, die Vorspannung ist aber – und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – unterschiedlich hoch.

Ehrlich, wer sich solche Röhrenverstärker anschafft, der fahrt auch Motorrad mit Kabine, Sicherheitsgurt und Airbag. Was aber ein richtiger Biker ist, der hat Fliegen zwischen den Zähnen und kann sein Mopped unterwegs im MacGyver-Manier reparieren. Zahnstocher (u.a. wegen den Fliegen) und Büroklammer reicht ihm.

Meine Meinung: Lasst die Röhren Röhren sein. Wer nicht damit zurecht kommt, dass ein Röhrenverstärker regelmäßig mal zur Inspektion muss, der soll sich einen Halbleiterverstärker zulegen.

Menno. Is’ doch wahr…
-Friedrich Hunold-

Die Autoindustrie bekommt die Technikgläubigkeit gerade zu spüren und langsam reift dort die Erkenntnis, dass man keinen Motor (alltagstauglich) vollständig mit überfrachtete Software unter Kontrolle bekommt. Ich wette, der vor drei Jahren verstorbene Werkspensionär, der den Motor noch nach Gehör einstellte, hatte das den Ingenieuren immer wieder gesagt…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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