Roland Kraft

Wie definieren Sie selber HiFi und wie High-End?

Roland Kraft: Keinesfalls über den Preis. Für mich bedeutete High End immer, besondere Ansprüche an die Wiedergabequalität und an die Bauweise der daran beteiligten Komponenten zu haben. Nichts von der Stange, sozusagen. Das kann bis hin zum höchst Anspruchsvollen, gerade noch technisch Machbaren gehen, beeinhaltet für mich aber auch den qualitativ höher angesiedelten Selbstbaubereich, ganz gleich, ob es sich um Eigenkonstruktionen oder um Bausätze handelt. Es gibt auch für 300 Euro schon ganz außergewöhnliche Gerätschaften! Man würde sich aber in die Tasche lügen, wäre da ausschließlich das Argument höchstwertiger Musikwiedergabe. High End war und ist immer auch die Faszination der Technik selbst, die Befriedigung des Spiel- und Basteltriebs sowie – mittlerweile – womöglich sogar die Pflege eines Retro-Style-Hobbys, bei dem es gegen alle Trends noch um Röhren und Vinyl geht.

In der Vorbereitungsphase zu diesem Interview bemerkten Sie meine »etwas kritische Haltung« gegenüber diversen High-End Produkten. Glauben Sie nicht, dass die Röhrentechnik (so schön sie auch sein mag) teilweise zu sehr mystifiziert wird?

Roland Kraft: Ich bekenne augenzwinkernd, ein echter Röhrenfreak zu sein. Und der glaubt felsenfest, daß Röhren besser klingen können als Sand. Aber natürlich werden Röhren schon mystifiziert, zumindest, wenn es um ihre Nutzung in High-End-Verstärkern geht. Aber ist daran etwas Schlimmes? Wie würde unser Leben aussehen, wenn alles, was uns umgäbe, nur dem reinen Zweck dienlich wäre? Oder nur dem Diktat der Kosten unterworfen? Warum baut der Mensch mit großem Aufwand ein Gerät, welches sich von anderer Warte aus betrachtet in ein fingernagelgroßes Siliziumplättchen gießen ließe? Warum werfen wir das Vorderrad begeistert in die Paßkurven, anstatt die Umgehungsautobahn zu fahren? Ein handfester Grund für das Comeback der Röhren ist doch sonnenklar: Viele moderne Gerätschaften sind einfach furchtbar ungeil. Und sie bieten ihrem Besitzer keine Möglichkeit mehr, selber irgendwie Hand anzulegen. Damit werden menschliche Grundbedürfnisse nicht mehr erfüllt, nämlich der Spiel- und Kreativitätstrieb plus das Bedürfnis, gut unterhalten zu werden. Wie erklären wir uns das offenkundige Faszinosum Computer? Weil alles so perfekt funktioniert? Nein – weil es verdammte Mistdinger sind. Aber immerhin solche, die man sich zurechtschneidern kann!

Vor Jahren brachte ich auf meiner Homepage eine satirische Kolumne über Herrn Ennemosers C37-Lack. Als ich später hörte, dass Herr Ennemoser dies sehr humorvoll aufnahm und meine Seite ebenfalls verlinkte, war ich doch sehr erstaunt. Seitdem steht Herr Ennemoser bei mir (als Mensch) ganz hoch im Kurs. Haben Sie nicht auch manchmal das Gefühl, dass viele High-End Firmen auf Kritik viel zu dünnhäutig reagieren und einer fachlichen Diskussion lieber ausweichen und stattdessen auf Lobhuddelei setzen?

Roland Kraft: Im Gegensatz zu Industrieware steht hinter vielen High-End-Produkten ein kleineres oder gar ganz kleines Unternehmen. Und damit bisweilen sogar noch Handarbeit, furchtbar viel persönlicher Einsatz und ein Höchstmaß an Kreativität. Kurz: echtes Herzblut. Daß die Erfinder da manchmal empfindlicher sind, sollten wir ihnen nachsehen. Nichtsdestotrotz haben sich die Dinge auch hier verändert. Wer dauerhaft im Geschäft bleiben will, muß sich in jeder Hinsicht professionell verhalten und natürlich professionelle Produkte zur Diskussion stellen.

Angesichts der Preise und des Anspruchs gibt es zwar Toleranz für Ungewöhnliches, nicht jedoch Freiraum für völlig schräge Bastelarbeiten, sicherheitstechnische Mängel oder gar handfeste Unseriosität. Daß auch mal Künstlerhonorare fällig sind, daß eine Voodooecke existiert, daß integrierte Schaltungen und Röhren koexistieren, daß Hornlautsprecher mit digitalen Frequenzweichen laufen oder 50-Kilo-Netzfilter zum Einsatz kommen, macht die Szene nur interessanter, farbiger und spannender. Lebhafte Auseinandersetzungen über alle Themen sind ausdrücklich erwünscht!

Wenn man gegenüber einem altgedienten Radio- und Fernsehtechniker den Begriff High-End erwähnt, muss man damit rechnen, dass am Geisteszustand gezweifelt wird. Was meinen Sie: woher kommt das?

Roland Kraft: High-End-Elektronik, insbesondere jedoch Röhrenequipment, zählt ganz klar zu den Luxusprodukten. Wer ausschließlich in Preis-/Leistungsrelationen denkt, kommt hier nicht weit. Hätte man sich auf die sogenannte Vernunft beschränkt, wäre beispielsweise die Entwicklung der CD-Player mit den ersten Geräten als abgeschlossen betrachtet worden. Diese Dinger klangen der damaligen Digitaleuphorie zum Trotz geradezu schwachsinnig schlecht, wofür man nunmehr auch die technischen Gründe kennt. Die Denkweise eines »Röhren-Opas« ist normalerweise davon geprägt, daß Stereo- oder Radiowiedergabe zweckdienlich sein müsse und keinen darüber hinaus gehenden, schon gar keinen klanglichen, damit subjektiven Ansprüchen unterläge. Obwohl die Diskussion Trioden- vs. Pentodenklang übrigens schon in den vierziger Jahren geführt wurde! Leuchtende Augen kamen bei unserem Techniker ganz woanders auf – wir können das jederzeit nachvollziehen, wenn wir einen 40 Jahre alten Tektronix-Oszi aufschrauben. Unbestreitbar feinstes, damals ungeheuer teures High-End, dessen Zweck es war, so perfekt wie nur irgend möglich zu sein. Es ist kein Quantensprung, diesen Anspruch auf die Wiedergabeseite zu übertragen.

Probleme hat unser Röhren-Opa natürlich dann, wenn die Argumente den Boden physikalisch anerkannter Tatsachen verlassen. Interessierte Toleranz ist dennoch geboten. Nicht nur mir – und meiner bodenständigen technischen Ausbildung – widerfuhr schon Unüberhörbares, dem aber jede objektive Deutungsmöglichkeit fehlte …

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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