6L6GC in Quasi-Ultralinear
Quasi-Ultralinear? Naja, sobald ein Widerstand am Schirmgitter hängt, ist das – streng nach der „Hafler & Keroes-Bibel“ – kein Ultralinear mehr. Obwohl so ein Widerstand gar nicht sooo verkehrt ist. Bis zu einem Widerstandswert von 220Ω dient so ein Widerstand nur als Schwingschutz und schadet dem eigentlichen Ultralinear-Gedanken überhaupt nicht.
Ab 470Ω geht’s aber los. Da soll zusätzlich – mehr oder weniger – Spannung „ausgebremst“ werden, weil die Schirmgitterspannung bei Aussteuerung (Betriebsspannung plus aufmoduliertes NF-Signal) keinesfalls den maximal zulässigen Spannungswert erreichen darf. Bei der 6L6GC sind es in Ultralinear allerhöchstens 500V (sagt das Tung-Sol Datenblatt in der Fussnote, sonst sind es 450V). Bei der KT66 und der KT88 liegt der zulässige Spannungswert deutlich darüber.
Nur – 500V liegen im A55T noch nicht einmal als Kaltspannung – also direkt nach dem Einschalten – an. Und unter Last saust die Betriebsspannung schneller auf deutlich unter 450V als man gucken kann. Warum sich im A55T nun ein Schirmgitter-Widerstand von 1kΩ findet, darf man sich bei der ursprünglich bestückten KT88 nun zurecht fragen. Also erfolgte hier eine Anpassung.
Ach ja: Bei einigen Angaben der offiziellen Daten (hier) ist wohl ganz eindeutig zuviel Báijiǔ im Spiel gewesen…
Für 6L6GC sind diese Betriebsbedingungen aber schon fast ideal. Meine damalige Vermutung, dass der A55T „nur“ ein verkappter A50T (mit EL34) ist, scheint sich zu bestätigen. Selbst mit KT66 von JJ (ich hab’s ausprobiert) war hier kein Blumentopf zu gewinnen.
Röhren mit Patina
In meinem Fundus finden sich „echte, alte“ Sovtek 6L6GC-Röhren die mit „Welter Elektronik“ bestempelt wurden. Zudem ausgemessen und selektiert. Man darf ruhig davon ausgehen, dass in den Gläsern drin ist, was drauf steht.
Hunderprozentig sicher ist man auch mit der Sovtek 6L6WXT oder der 6L6GC von JJ. Auf gar keinenfall, also nie und nimmer nicht, fragwürde Empfehlungen folgen und 5881 einsetzen. Das ist keine Glaubenssache, sondern in den Datenblättern eingemeißelt.
Leistungsmäßig landet man mit einem Ruhestrom von 35mA bei rund 30W in Ultralinear. Und das wirklich nicht angestrengt – auch nicht so Kompromissbehaftet, wie bei der KT88, aus der unter diesen Bedingungen auch nicht mehr herauszukitzeln ist.
Und wat is‘ mit KT66?
Das Thema kann man kurz machen: Die KT66 verhält sich in diesem Verstärker fast wie eine KT88. Schlussendlich würde es doch wieder ein Kompromiss, der leistungsmäßig bei knapp 25W endet.
Und nicht nur das: Auch verlangt die KT66 nach einer höheren Übertragerimpedanz (Ra/a). Für alle anderen Beam Power Tetroden (und EL34) ist die hier verwendete Impedanz von etwa 4kΩ aber ganz gut brauchbar. Dieser Ra/a ist mittlerweile ein „standadisierter Duchschnitt“.
The Sound of 6L6GC
Natürlich wollen Beam Power Tetroden, wenn sie richtig rund laufen, etwas erzogen werden. Da sind die oberen Mitten zu nennen, die, wenn nicht auf Erziehung geachtet wird, über die Stränge schlagen können. Eine Erziehungsmaßnahme gibt’s als frequenzabhängige Gegenkopplung…
Ergebnis: Das Teil hat was. Irgendwas. Es klingt irgendwie ein bisschen rauh, ungeschliffen – also keineswegs nach Schlaftablette. Aber auch nicht nach 180’er Puls, nach zehn Tässchen „Espresso Fuerte“. Nene, Leute – das klingt alles irgendwie… geerdet.
Ja. Genau, das ist der richtige Ausdruck. Geerdet. Die Bässe haben Bodenhaftung und kein Aquaplaning, vorlaute oder verhangene Mitten gibt’s auch nicht und die Höhen können durchaus klingeln. Und wenn der Toningenieur Feenstaub in die Aufnahme gezaubert hat, so wird man auch das feststellen.
Na klar, geht das alles besser…
Auf ein Wort
Wer es soundig-softer haben will, soll eben im vierten Gang durch eine 30’er-Zone stottern. Wir leben ja (noch) in einem freien Land… Solche Liebhaber soll’s ja geben. Das sind dann aber auch genau die Kandidaten, die irgendwann zum KlingKlang-Discount rennen, um sich obskure Hai-End Devotionalien andrehen zu lassen.
Ist ja auch alles nicht strafbar, die physikalischen Grenzen verschieben zu wollen. Ob’s funktioniert ist eine andere Geschichte. Und Glaubensfreiheit ist eine unserer obersten Grundrechte (GG Art. 4, Abs. 1 & 2). Wer also glaubt, nur mit Zaubermittelchen in „audiophile Sphären“ zu gelangen – bitte.
Einen geerdeten und damit ehrlichen, Verstärker würde ich ja vorziehen… Findet der Besitzer übrigens nun auch und hat mir gleich einen bekannten EL34-Eintakter in die Hand gedrückt.