Miller-Effekt, Miller-Kapazität – Wenn Röhren-Bastler fachsimpeln, dann fallen irgendwann diese Begriffe. Gelegenheitsbastler, die mit Miller nichts anfangen können, stehen dann ratlos da. Wer oder was ist Miller? Wer er war, lässt sich schnell anhand des Wikipedia-Artikels „erforschen“. Und auch das, was er entdeckt hatte und wonach man diese Entdeckung dann benannt hatte. Nämlich nach ihm.
Ziemlich abstrakt, die Wikipedia-Artikel, nicht wahr? Und vor allem, was hat das mit Röhren zu tun?
Eine Entwarnung vorweg: Bei dem sog. Miller-Effekt geht (in der Regel) nichts kaputt und ist auch nicht gefährlich. Er ist oftmals einfach nur „lästig“. Besonders in der Röhrentechnik.
Alles ist (Miller-) Kapazität
Im Grunde ist eine Röhre – bzw. sind die Elektroden – nichts weiter als ein Kondensator. Zwischen den Elektroden ist im Normalfall zwar ein Vakuum, welches aber letztendlich bei weitem nicht perfekt ist. Ein paar Moleküle aus der Umgebungsluft sind immer noch vorhanden. Diese reichen jedoch, um aus dem Vakuum ein Dielektrikum zu machen. Als Folge davon hat man also, ungewollt, immer eine Kapazität. Eine Art Luftkondensator (so etwas gibt es wirklich).
Diese Kapazität ist zwar recht klein (Pikofarad, pF) kann sich aber deutlich bemerkbar machen. Wenn „sie“ sich bemerkbar macht, dann hat man „ihn“, den Miller-Effekt. „Gefürchtet“ eher bei den „Radiobastlern“ – also bei Frequenzen oberhalb zwanzig Kilohertz.
Wenn sich Mister Miller im NF-Bereich bemerkbar macht, dann kann sich das im Klangbild bemerkbar machen. Möglich sind
– ein zu heller Klang. Das Klangbild nervt nach kurzer Zeit.
– es klingt dumpf
– oder der Verstärker spielt Radio
Oftmals hat man den Eindruck, dass in der Mitte ein klangliches Loch ist.
Grundsätzlich kann der Miller-Effekt die obere Grenzfrequenz herabsetzen und/oder – besonders in HF-Schaltungen – zu (meist) unerwünschten Schwingungen führen. Aber – der Miller-Effekt ist nicht per se „böse“.
Miller und die Röhrentechnik
Trioden sind von Natur aus anfälliger für die Wirksamkeit dieser unerwünschten Kapazitäten. Im alten Philips-Datenblatt der beliebten NF-Röhre ECC83 sind all die Kapazitäten aufgeführt, die nur irgendwie in dieser Röhre vorkommen. Uns interessiert die Kapazität von Steuergitter zu Anode. Diese ist hier mit 1,6pF angegeben. Eigentlich ein recht kleiner Wert, der uns, schaltungstechnisch, gar nicht zu interessieren braucht. Theoretisch. In der Praxis wird es jedoch interessant, weil die ECC83 meistens ja als (einfacher) Spannungsverstärker eingesetzt wird.
Angenommen die Spannungsverstärkung einer (halben) ECC83 beträgt in einer Schaltung 50. Dann fängt die Miller-Kapazität derart an zu „wirken“, das aus 1,6pF ganz schnell nahezu 82pf werden. Eine Formel dazu gibt es natürlich auch.
Von Anode zu Steuergitter wirken bei der Philips-ECC83 also fast 82pF. Diese Kapazität wirkt prinzipiell wie eine frequenzabhängige Gegenkopplung. Sie beschneidet die obere Grenzfrequenz. Das heisst: Sie kann die Schaltung daran hindern, hochfrequent zu schwingen oder, wenn die Grenzfrequenz bereits sehr tief liegt, sich im hörbaren Frequenzspektrum auswirken.
Achtung: Das funktioniert natürlich nur, wenn ein Gridstopper, richtig bemessen, eingesetzt wurde. Dieser fehlt in vielen Schaltungen und dann wundert man sich, dass man entweder „Radio Eriwan“ zu hören bekommt oder dass der Verstärker „zu hell“ klingt.
Da das Tube-Rolling ja viel Spass macht, setzen wir in der gleichen Schaltung nun eine ECC83 von JJ ein. Das betreffende Datenblatt nennt hier den Wert von 1,7pF. Nach der gleichen Formel würde sich eine Miller-Kapazität von etwa 87pF ergeben. Ob diese 5pF Differenz wirksam werden, kann man so nicht pauschal sagen.
Wie auch immer. Das ist ein großer Nachteil der Triode. In HF-Schaltungen, wo derartige Kapazitäten oftmals viel störender sind, versucht man das mit „Schaltungstricks“ zu umgehen: Die Erfindung der Kaskode-Schaltung (Vorläufer der später entwickelten SRPP) ist darauf zurückzuführen. Wenn es nur nach diesen Kapazitäten ginge, dürfte die ach so gerühmte ECC88 (Spanngitterröhre, eigentlich für HF-Zwecke) völlig untauglich sein. Die Kapazitätsangaben im Telefunken-Datenblatt lassen schreckliches erahnen.
Tetroden (oder Pentoden) kennen diesen Effekt nicht. Zumindest nicht so stark. „Verantwortlich“ hierfür ist das Schirmgitter, das nur dazu erfunden wurde, um diese leidige Kapazitätsproblematik zu umgehen (das war ein Scherz).
Je nach Datenblattvorgabe legt man das Schirmgitter über einen entsprechenden Vorwiderstand auf positives Spannungspotential. Dazu noch einen Abblockkondensator von Schirmgitter gegen Masse. In HF-Schaltungen bewegt sich der Kapazitätswert hier meist zwischen 50nF und 100nF (Nanofarad).
Werden Pentoden jedoch in NF-Schaltungen eingesetzt, dann muss man den Wert dieses Kondensators kräftig erhöhen, wenn es „oben herum“ klingeln soll. Es ist dabei (eigentlich) unerheblich, ob man dafür einen MKP, MKT oder Elektrolyt nimmt (Wink mit dem Zaunpfahl). Die Spannungsfestigkeit ist zu beachten!
Um den o.g. Scherz zu relativieren: Natürlich dient das Schirmgitter in erster Linie dazu, die Leistung der (ehemaligen) Triode zu erhöhen. Man nutzt das Schirmgitter aber auch, um die Miller-Kapazität zu „eliminieren“, was praktisch automatisch geschieht (höherer Röhren-Innenwiderstandes, Senkung des Durchgriffs). Bei Pentoden bzw. Tetroden bekommt man also ein Antidot im Glas mitgeliefert, um gegen Mr Miller vorzugehen. Bei Trioden eben nicht.
Generell lässt sich sagen, dass, je kleiner das Signal welches hoch verstärkt werden soll, desto höher die Gefahr, mit dem Miller-Effekt in Konflikt zu geraten.
Bei Leistungspentoden (-Tetroden) schaltet man den Abblockkondensator natürlich nicht dazu. Hier muss man anders heran gehen, um den Miller-Effekt nicht wirksam werden zu lassen. Eine niederohmige Ansteuerung ist, beispielsweise, immer eine gute Idee. Besonders dann, wenn im Datenblatt der betreffenden Röhre ein Kapazitätswert von über 10pF (Gitter-Anode) genannt wird.
Wie auch im Hochfrequenz-Bereich kann man sich den Miller-Effekt auch zunutze machen, indem man ihn verstärkt. Meistens wird er dazu genutzt, um eine Röhrenstufe am schwingen zu hindern (man legt die obere Grenzfrequenz ganz bewusst tiefer). Zehn Pikofarad können entscheidend sein.
In gewisser Weise kann man den Miller-Effekt auch zur „Klangverbesserung“ nutzen. Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.