Röhre: Unbekannt

Unbekannt – Das Problem mit solchen Röhren kennt wohl jeder, der mit Röhren »herumbastelt«. Aus welchen Gründen auch immer, ist der Aufdruck unleserlich, unvollständig oder ganz verschwunden. »Unverwüstliche« Typenbezeichnungen waren ja immer schon eher selten anzutreffen.

Manchmal trifft man auch auf Röhren, die bewusst ihrer Identität beraubt wurden. Das war ja mal in den späten 1990’er Jahren total angesagt. Besonders in gewissen, »elitären« HighEnd-Zirkeln. Das diente natürlich dem Zweck, dass eine etwaige Reparatur nur vom Hersteller selber durchgeführt werden konnte. Die Preise für so etwas waren dann ebenfalls sehr »elitär« gestaltet.

Natürlich wollte man damit auch verhindern, dass man herausfand, nur mit Wasser gekocht zu haben. Wie gesagt, sehr »elitär«.

Bekommt man heute so einen Röhrenverstärker (meist ein Pre oder Phono-Pre) zum revidieren, kann man den Sarg sofort schliessen. Unkenntlich gemachte Halbleiter zu ersetzen, ähnelt dann eher einem »Try-and-Error« und nimmt mehr Zeit in Anspruch als das defekte Bauteil kostet.

Den Hersteller kontaktieren geht ja meist auch nicht, weil in vielen Fällen Unbekannt (verzogen). Ausserdem – das vergessen viele – gibt es die damals modernen Bauelemente nicht mehr. Oder mit viel Glück beim »Surplus«-Dealer. Letztens noch eine aktuelle »Reste-Liste« in die Hand bekommen, in denen tatsächlich noch »High-End Tantal-Elkos« offeriert wurden. Auch Carbon Composits, die aber nicht mehr den ursprünglichen Widerstandswert aufwiesen…

Zum Thema.

Unbekannt

Seit ein paar Jahren lungern hier vier Röhren ohne Typenkennzeichnung herum, die mal aus einem (elitären) Phono-Pre gezogen wurden. Die eigentlich Schaltung interessierte mich seinerzeit nicht. Das sah schon von weitem wie abgestandenes Wasser aus…

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Nur die Röhren weckten das Interesse. Das waren keine der üblichen Verdächtigen – also ECC-81, -82, -83 oder -88. Weil die Röhren nahezu »frisch« aussahen, abgezogen und eingelagert. Der Rest… Naja, ab dafür.

Spurenaufnahme

Die Röhren sind zunächst einmal etwas grösser als, beispielsweise, eine ECC83. Das Getter (die silbrige Schicht) reicht ungewöhnlich tief hinunter. Die vergoldeten Stifte lassen darauf schliessen, dass diese Röhren »ganz was feines« sind.

Vom Systemaufbau her lässt sich schliessen, dass das wohl keine Doppeltriode ist. 1990’er Jahre, High-End und keine Triode? Ungewöhnlich.

Ungewöhnlich ist auch der Systemaufbau an sich. Denn eine Art Klammer ist fast im Halbkreis angebracht worden. Keine Frage, dass dient dazu, die mechanische Stabilität auf »bombenfest« zu trimmen. Hm…

Im inneren des Glases befindet sich eine Metalllasche auf denen ein Code eingestempelt wurde. Anhand dieses Codes kann man »öfter als wie man denkt« der unbekannten Röhren einen Namen geben und vielleicht auch noch wer sie wann mal herstellte.

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Bei mir findet sich ein vierstellige Code: Zweimal Z1 und darunter 9L. Je einmal Z1 und 9K sowie Z1 und 8L. Diese beiden Röhren haben am Boden noch die Zahlen 10 und 12 eingeätzt bekommen.

Na bitte. Anhand dieser Codes (vor allem das Z1) ist es ein leichtes, die Röhren zu identifizieren.
Sie ahnen es: Denkste.

Die im Netz kursierenden Code-Listen waren zwar interessant, halfen aber nicht weiter.

Irgendwann schiesse ich mich auf Siemens sein. Da fehlt aber das Symbol auf der Metalllasche welches Siemens auch als »echte« Siemens identifiziert (aus dem Werk München). Vielleicht Siemens später aber mit Valvo- oder Philips-Stempel? Vielleicht eine Tungsram (Ungarn, zum Philips-Konzern gehörend) die ja auch »gerne« Siemens-Röhren herstellten…?

Siemens? So wie das alles aussieht, könnte es eine D3a sein. Eine D3a-Pentode im Triodenzeitalter? Entweder hatte da einer ganz viel Chuzpe oder es ist keine D3a…

Bildersuche

Thromboseverdächtig geriet die Indentifikation anhand der Optik. Nur eine Philips-Röhre hatte gewisse Ähnlichkeiten – vor allem diese Metallklammer. Der Aufbau der Röhren waren aber alle nicht zu vergleichen.

Ist das überhaupt eine D3a?

D3a-Check

Datenblatt »organisiert« und mal die Stiftbelegung der neunpoligen Röhren mit einem simplen Piepser kontrolliert. Laut Datenblatt sind Stift 1 und 3 intern verbunden. Stift 6 ist unbeschaltet. Na bitte.

Ja, 1 und 3 waren intern verbunden. Stift Nummer 6 war aber nicht unbeschaltet. Eine Sichtkontrolle reichte, um festzustellen, dass 6 auch mit 3 (und somit auch 1) verbunden war.

Damit ist das Thema »D3a« vom Tisch. Überhaupt war das »Pentoden-Raten« vom Tisch. Es gab noch zwei weitere interne Verbindungen. Intern verbunden waren die Anschlüsse 1, 3, 6, 7 und 9. Da die Heizung die Stifte 4 und 5 belegte, bleiben nur noch zwei Anschlüsse übrig.

Das reicht nun für nur eine Triode. Damit passt das ja wieder in die Zeit. Aus der unbekannten Röhre wird eine unbekannte Triode. Das grenzt schon mal gewaltig ein.

Die Nomenklatur von Röhren folgend steht ein C für Triode. Zwei C’s (also CC) für Doppel-Triode. Gesucht wird nun also eine Röhre mit einem C im Namen. Vermutlich auch mit einem E (P-Röhren waren ja nicht »hifidel«). Also EC plus Nummernfolge.

Fünf Minuten bis zur Identifikation…

EC8010

heissen meine »unbekannten« Röhren und entpuppen sich wirklich als Sahnestückchen. Ein paar Bastler haben in den späten 1990’er – und darüber hinaus – damit gebaut.

ec8010a

Sie eignet sich übrigens sehr gut, um ohne Probleme eine 300B anzutreiben. Aufgrund der EC8010-Eigenschaften nehme ich das »funktioniert sehr gut« unbesehen ab und hat diesmal meinen Segen – also die Sache mit »vorne Triode, hinten Triode«…

Sie mögen mal relativ preiswert gewesen sein. Heute aber nicht mehr. Weil man nämlich mit diesem »Geheimtipp« hausieren ging. Noch heute wird eine andere, nur leicht abgewandelte, (amerikanische) Hobby-Bastler-Schaltung nach allen Regeln der Kaufmannkunst »verwertet«.

Womit jetzt auch erklärt ist, warum ich mit der Nennung von Röhrensystemen und Schaltungsdetails »sparsam« umgehe.

In den Nuller-Jahren zogen dann die Preise dieser Röhre spürbar an. In Euro: Von Anfangs vielleicht rund 10 auf heute teilweise über 60 Euro. Die Preise, die für das »Schwester-System« EC8020 (noch dazu »echte« Telefunken) aufgerufen werden, dürfen Sie selbst eruieren. Nehmen Sie vorher aber am besten Herztropfen…

Die Sache mit Siemens und Tungsram war übrigens richtig. Die meisten Siemens EC8010 dürften nämlich Tungsram-Röhren sein…

Wie auch immer: Vier unbekannte Röhren haben nun einen Namen. Was ich damit machen soll, weiss ich allerdings nicht. Ist nicht meine Welt…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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