Watt Ihr Volt

Praxis

Angeblich (man muss ja vorsichtig sein) soll das Watt in RMS so zustande kommen: Messung bei irgendwas unter 500Hz (Netzteilbelastung), bei 1kHz und bei 10kHz. Dann die Durschnittsrechnung – fertig ist das RMS-Watt.

Bei Single-Ended Röhrenverstärker macht man es sich »angeblich« noch leichter: Man nimmt die Anodenverlustleitung der betreffenden Endröhre und dividiert dann durch vier. Diese grobe Pi-mal-Daumen-Schätz-Faustformel muss immer wieder für Phantasiewerte in RMS (!) herhalten.

Die tatsächliche, maximale, Ausgangsleistung liegt um einiges niedriger. Würde so mancher Single-Ended tatsächlich das leisten, womit er angepriesen wird – die Anoden wären schon längst verdampft…

  • Stutzig sollte man generell immer dann werden, wenn bei Nennung RMS-Watt die Widerstandsangabe fehlt, also zB. 10 Watt (RMS) an 4 Ohm (Ω). Fehlt die Widerstandsangabe, können die 10 Watt auch an einem halben Ohm gemessen worden sein – und das ist nun einmal ganz was anderes als 10 Watt an 4 Ohm. Einfache »Pi-mal-Daumen« Formel: Je grösser der Widerstand (Ohm), desto weniger Leistung (Watt).
  • Der Gesetzgeber hat vorgeschrieben, dass die Leistungsaufnahme aller elektrischen Geräte, also auch Verstärker, anzugeben ist, zB. 100 Watt. Es ist physikalisch unmöglich, dass ein Verstärker dann Leistungen produziert, die der Leistungsaufnahme nahe kommt oder darüber liegt (Sämtliche Energieprobleme wären mit einem Schlag gelöst: Man bekommt mehr ‘raus, als man hineingesteckt hat). Bei Röhrenverstärkern dividiert man die Leistungsaufnahme am besten durch sieben, um »Watt pro Kanal« realistisch einschätzen zu können.

Da das (seriöse) RMS-Messverfahren ziemlich aufwändig (und damit teuer) ist, steht zu vermuten, dass viele RMS-Leistungsangaben geschätzt sind (vor allem, wenn man sich die Netzteilelektronik so mancher Verstärker – auch Röhrenverstärker – anschaut) oder umgerechnet wurden.

Der Sinuswert und der RMS-Wert liegen theoretisch dicht beieinander, wobei der RMS-Wert bestenfalls um etwa 15% bis 20% höher als der Sinuswert ist. Einige munkeln jedoch etwas von 30% und mehr!

Es ist vielmehr anzunehmen, weil es einfacher und billiger ist, »mal eben« eine (!) Sinusleistung zu ermitteln und dann beispielsweise 20% dazuzurechnen, als einen Verstärker seriös »durchzuorgeln«.

Man nehme…

Einen Sinusgenerator, einen einfachen Spannungsmesser, eine Formel und einen Taschenrechner.

Man speist das Sinussignal ein, dreht das Lautstärkepoti »voll auf« und misst an einem Lautsprecherausgang (der natürlich mit einem Lastwiderstand abgeschlossen wurde) dann die Wechselspannung.

Die Grundformel (Spannung (U) mal Strom (I) ist Watt)

    \[ P=U*I \]

muss umgestellt werden, da wir den Strom nicht kennen und eine zusätzlich Messung (bzw. zusätzliches Messgerät) zu teuer ist. Dafür kennen wir aber den unabdingbaren Lastwiderstand:

    \[ P=\frac{ U^{ 2 } }{ R } \]

Übrigens: Sie sehen, auch hier wird »quadratisch gerechnet«. Okay, setzen wir also ein: U = 20 Volt, R ist 8 Ohm. Nach der zuvor genannten Formel erhalten wir nun: P = 50 Watt.

Diese Leistung ist aber der sogenannte Spitzenwert. Die gemessenen 20V sind zu 95% ebenfalls Spitze (Vss).

Der Spitzen- oder Scheitelwert ist im »Sinusfall« der höchste bzw. niedrigste Punkt einer Sinusschwingung. Das würde Wss entsprechen. Soviel Watt macht watt her – ist aber vollkommen unbrauchbar.

Multipliziert man diese ermittelte Spitzenleistung mit (gerundeten) 0,4 – dann sieht das Ganze schon realistischer aus: Es stehen nun 20W effektive Leistung zur Debatte, also Weff.

Aus den 20W wird nun schnell 30, 40Watt. RMS, natürlich. Ganauso natürlich wird verschwiegen, dass diese Leistung nur bei einer Frequenz ermittelt wurde. Und die beträgt – welch’ Zufall – 1kHz.

Und damit wären wir wieder am Anfang.

Konsequenz?

Weil das RMS nun arg in Verruf geraten ist (weil nicht standadisiert), beziehen sich einige Hersteller wieder – oder immer noch – auf Sinus.

Andere Hersteller lassen RMS oder Sinus komplett weg und nennen als Leistung beispielseise: Etwa 20 Watt an 8Ω.

Und das sind beileibe keine »No-Names«. Es wäre schon viel geholfen, wenn das Watt als Spitzenwert (Wss) oder als Effektivwert (Weff) ausgewiesen würde.

Abschliessend, ganz ohne Wortspiel, aus »Was ihr wollt«:

Das ist gewiß; wer artig mit Worten tändelt, kann sie geschwind leichtfertig machen.



14.08.2020: Der Beitrag wurde überarbeitet, um die Thematik Spitzenwert deutlicher hervorzuheben.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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