Ahnenforschung 300B: WE-91

Betrachtet man sich den WE-91 Schaltplan einmal genauer, besonders im Bereich der 300B, dann fallen einem ein paar „Merkwürdigkeiten“ auf.

Noch mehr Tricksereien mit Ultrapath & Co

ultrapath Da ist zum einen der Gitterwiderstand (Gitterableitwiderstand) der 300B. Dieser ist nämlich „aufgeteilt“ (quasi ein Spannungsteiler), wobei sofort auffallen sollte, dass der obere Widerstandswert nicht stimmen kann. Er ist viel zu hoch. Laut Datenblatt von Western Electric sind maximal 250kΩ zulässig. Dazu gleich…

Hier müssen wir beachten, dass im Original die 300B mit Wechselspannung beheizt wird und die Symmetrierung der Heizspannung bereits „ab Trafo“ erfolgt, also 2,5V – 0V – 2,5V. Der 0V-Abgriff ist dann die künstliche Kathode für die 300B. In „modernen“ Varianten wird diese künstliche Kathode mittels zweier Widerstände erzeugt. Am Verbindungspunkt der aufgeteilten Gitterwiderstände führt ein 1µF-Kondensator zur künstlichen Kathode der 300B. Diese Anordnung verhilft dem Verstärker zu einem „satterem“ Klangbild. Ursächlich wollte man mit dieser lokalen Gegenkopplung „nur“ Stabilität in die Sache bringen.

Wegen der Magnetisierspule (Field Coil) der damaligen Lautsprecher brummte es zwangsläufig immer in diesen Lautsprechern. Um den Brumm zu minimieren, legte man am „Ausgang“ dieser Spule (welche zwar als Drossel arbeitete aber eher wie ein Siebwiderstand wirkte) einen zusätzlichen Siebkondensator gegen Masse. Damit erreichte man, dass der Brumm reduziert wurde (ähnlich einem Pi-Filter), aber nie ganz verschwunden war. Das, was jetzt noch an Brummanteile übrig war, beseitigte die zuvor besprochene Brummkompensation.

Update Februar 2015:
Da monierte doch tatsächlich einer den fehlenden Ultrapath-Kondensator im Schaltbild. Recht hat er! Da bin ich selber auf die „seltsame“ Darstellung des Schaltplans hereingefallen. In der vorherigen Textversion habe ich C5 bzw. C7 als Ultrapath-Kondensator bezeichnet. Das ist falsch. Diese Kondensatoren brücken den Kathodenwiderstand und haben mit Ultrapath nix, aber auch wirklich nix, zu schaffen. Ich muss mal den WE-Schaltplan herauskramen, wo der Ultrapath-Kondi eingezeichnet war. Den folgenden Ursprungstext lasse ich – entsprechend markiert – mal stehen, weil er die Wirkungsweise des Ultrapath-Kondensators recht einfach erklärt (auch wenn es technisch gesehen nicht ganz korrekt ist).

Die Western Electric Leute legten später diesen Kondensator (C5 bzw. C7 im Bild zuvor) bei dem 91A/B aber nicht direkt auf Masse, sondern an der künstlichen Kathode der 300B. Also auch an dem Punkt, wo der zuvor genannte 1µF-Kondensator angeschlossen ist. Durch diese Anordnung „injiziert“ man u.a. Restbrummanteile der Versorgungsspannung an die (ja gegenphasig arbeitende) Kathode. Durch diese Gegenphasigkeit reduzierte man den Brumm noch einmal. Irgendwann wurde diese Geschichte als „Ultrapath“ bezeichnet. Hierzu gibt es weitere, mehr oder weniger verständliche, Erklärungsversuche… Ganz grob und stark vereinfacht zusammengefasst: Damit legt man die 300B auf positiven „Spannungsbezug“. Die Vorstufe(n) hingegen arbeiten mit dem üblichen Massebezug. Wer es genauer haben will und des Englischen mächtig ist: Ultrapath bei TubeCad.

So „richtig“ (also auch für taube Ohren) wirkt die „Ultrapath“-Technik nur, wenn die direkt geheizte Triode mit Wechselspannung beheizt wird, man mit Siebkapazitäten sehr sparsam umgeht und einen Field Coil Lautsprecher benutzt.

Prinzipiell kann man das heute auch noch machen! Es brauchen dabei aber bei weitem nicht so hohe Kapazitätswerte eingesetzt wie zu Western Electric Zeiten: Im WE-91B sind es 16µF anstatt 25µF in der A-Version. Aber aufgepasst, so einfach und unscheinbar das alles aussieht – die „Ultrapath“-Technik birgt eine böse Falle!

Der ominöse Gitterwiderstand

Addiert man die aufgeteilten Gitterwiderstände an der 300B, dann kommt nach Adam Riese ein Wert von 400kΩ heraus. Vierhundert Kiloohm! Also, das weicht von den Datenblattangaben nicht nur ein bisschen ab – da liegen Welten dazwischen!

Wir könnten nun annehmen, dass die WE-Techniker nicht wussten, was sie da taten. Oder aber, um neue Verschwörungstheorien ins Spiel zu bringen: Entweder sind die Angaben im Datenblatt falsch oder es handelte sich um eine Form der geplanten Obsoleszenz (Gitterstrom bei der 300B). Nun, es ist berechtigt anzunehmen, dass die Techniker sehr wohl wussten, was sie da taten. Und es ist ebenfalls berechtigt anzunehmen, dass die Daten im Datenblatt richtig sind.

Ein Erklärungsversuch: Je niedriger der Gitterableitwiderstand der 300B, desto höher die Belastung der Vorstufe (hier 6C6 bzw. 310A). Kommt da noch die „Ultrapath“-Geschichte hinzu (negative und positiver Spannungsbezug), kann das für die Vorstufe zu einem ernsthaften Problem werden. Es geht viel von der erforderlichen Steuerleistung verloren, für die 300B bleibt dann nicht genügend übrig. Ein 400kΩ-Widerstand war wohl die (billigere) Lösung aus diesem Dilemma wieder herauszukommen – man machte sich hierbei (und wieder einmal) den hohen Qualitätsanspruch von Western Electric zunutze: Die hauseigene 300B konnte mit diesem Widerstandswert umgehen! Die späteren Nachbauten der 300B aber nicht.

Heute wäre es, angesichts der Exemplarstreuung der 300B, fatal mit solchen Widerstandswerten zu arbeiten (mit der goldenen Serie von Electro Harmonix scheint es, lt. Datenblatt, noch zu funktionieren). Deshalb hier und an dieser Stelle eine Warnung: Ob eine 300B-Schaltung durchdacht ist, erkennen Sie an diesem „blöden“ 20 Cent Bauteil. Widerstandswerte oberhalb von 200kΩ sind nicht ratsam! Kommen in Schaltplänen höhere Gitterableitwiderstände als 200kΩ vor, setzt dies garantiert eine Original WE-300B voraus.

Das Triumvirat im WE-91

Das letzte Quentchen Trickserei können wir kurz halten. Es geht hier um einen Anodenwiderstand, einen Koppelkondensator und einen Gitterwiderstand. Das Triumvirat eben.

Der Koppelkondensator zur 300B ist ein 47nF-Kondi. Nein, nicht 0,47µF oder gar 1µF. 47nF! Oder in Mü-Eff: 0,047µF. Im Teamwork mit dem 400kΩ-Gitterwiderstand der 300B erreichen wir damit eine untere Grenzfrequenz von 8Hz. Das ist auch für heutige Verhältnisse ein sehr guter Wert (zu berücksichtigen ist, dass die einzelne Stufen-Grenzfrequenz eines mehrstufigen Verstärkers tiefer gelegt werden muss, damit es hinterher in der Summe passt).

Der Anodenwiderstand der zweiten 310A (also die Treiberstufe) betrug zunächst 100kΩ (im Schaltplan R14). Dieser Widerstand bestimmt nicht nur die Verstärkung der 310A sondern auch wie schnell der nachfolgende Koppelkondensator aufgeladen wird, um diese Ladung dann zur 300B durchreichen zu können (Zeitkonstante). In der Ur-Version (also mit dem 100kΩ-Widerstand) waren das knapp 5 Millisekunden. Mit nur einem Koppelkondensator ist das ein guter Wert. Aber da ist ja noch einer, nämlich C7 (10nF) der die beiden 310A’s „verbindet“. Hier wird eine Zeitkonstante von etwas mehr als 3 Millisekunden erreicht.

Um den Verstärker noch einen Tick schneller zu machen, „spielte“ man ganz einfach mit den Widerstandstoleranzen. Der Anodenwiderstand der zweiten 310A wurde auf 91kΩ reduziert, liegt also im unteren Toleranzbereich (10%) eines 100kΩ-Widerstandes. Das reduzierte zwar die Treiberleistung etwas, man erzielte aber eine Zeitkonstante von etwas mehr als 4 Millisekunden.

Diese Zeitkonstanten spielen auch bei der Gegenkopplung eine wichtige Rolle. Sind diese Zeiten zu hoch, dann wirkt die Gegenkopplung nicht mehr. Zumindest nicht an dem Punkt (Signal), den sie „korrigieren“ soll. Aber das ist wieder ein anderes (Streit-) Thema.

Wer an der Schnelligkeit (slew rate) eines Verstärkers arbeitet, wird daher 43 Millisekunden (!) Aufladezeit, die bei einem 0,47µF (470nF) Kondensator entstehen, nicht gelten lassen. Ausserdem ist die 310A überhaupt nicht in der Lage, solch‘ einen Kapazitätsbrummer richtig zu bedienen.

Tja. Das wars. Viel mehr „Geheimnisse“ gibts bei dem WE-91 nicht.
Wenn Sie jetzt mit einem Nachbau spielen, dann halten Sie schon mal nach Pentoden Ausschau. Aber noch nicht kaufen! Warten Sie ab…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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