Fast wie bei Twin Peaks
Nur mit ohne Laura, die ja bekanntermaßen einen anderen (unfreiwilligen) Aggregatzustand angenommen hatte. Aber genauso mysteriös. Nicht identifizierbare Halbleiter und – was bei genauerer Betrachtung des VS55-Schaltplanes weiter auffällt – die stellenweise absolut unüblichen und „krummen“ Bauteilwerte. Beispiel: Da werden als Gridstopper zur 6550 6,81kΩ-Widerstände verwendet. Der Normwert wäre mit 100Ω geringfügig niedriger. Frage nun: Was soll das bringen…? (Vermutlich Restposten billig aufgekauft…)
Genauso mysteriös: Wie will man mit noch nicht einmal 450V mehr als 50W aus diesem Endröhrenpaar herausgeholt haben? Da fehlen aber ein paar Volt…
Noch mysteriöser wird’s mit den hoffnungslos überdimensionierten Koppelkondensatoren. Ja, damit bekommt man eine sehr niedrigere untere Grenzfrequenz (unter 1Hz). Wobei sich auch hier die Frage stellt, was das bringen soll (ausser, dass man sich damit eine ganz miese Zeitkonstante einhandelt)…
Was sich Audio Research aber bei dem 5µF-Kondensator im Phase-Splitter gedacht hat, soll deren Geheimnis bleiben. Ich will und muss nicht (mehr) alles wissen… Üblich sind an dieser Stelle übrigens Werte von mindestens 0,22 bis maximal 1µF…
Auch scheinen einige Datenblatt-Angaben der 6550 für Audio Reserach (generell) nicht zu gelten. Da wäre beispielsweise der Max.-Wert für den Gitterableitwiderstand… Überhaupt die 6550… Electro Harmonix steht zwar drauf, sind aber alte Sovtek-KT88 (erkennbar an der leichten Coke Botteld Form sowie am gezacktem Glimmerkranz unterhalb des Getterspiegels), die im übrigen eher „starke“ 6550 waren (oder sind) und den Eindruck machen, kaum gebraucht zu sein… Das da noch etwas im Argen lag, ist im ersten Moment zwar argwöhnisch betrachtet (in etwa „Nanu?“), aber nicht weiter „gewürdigt“ worden. Dazu später…
Bei alledem bin ich nicht der Erste und werde bestimmt auch nicht der Letzte sein, dem das alles „komisch“ vorkommt. Okay, jetzt war es an die Zeit, mal mit dem Besitzer zu reden…
frihu der „Frevler“
Weil ich darf, wird dem Ami erst einmal die Luft aus den Muskeln gelassen. Heisst: Die Tiefton-Stereoide werden zunächst unschädlich gemacht bzw. später wirklich homöopatisch dosiert (war diesmal gar nicht so einfach). Ein Bild sagt alles: Oben das 1kHz-Rechteck so wie es sein soll, darunter das „Rechteck“ mit „Original-Basserweiterung“… Frei nach Agent Smith: „Eines dieser Darstellungen hat eine Zukunft, das Andere nicht…“
Als nächstes die Gegenkopplung, Koppelkondensatoren und zum Schluss werden die Carbon-Composit 1Ω-Ruhestrom-Messwiderstände durch Drahtwiderstände ersetzt. Die 6550 werden zudem Datenblattkonform beschaltet…
Die Ruhestromeinstellung: Es war zunächst nicht möglich, die 6550 auch nur annährend im Dämmerzustand zu versetzen, geschweige denn komplett schlafen zu legen. Das Ruhestrom-Minimum betrug rund 25mA! Genau das hatte ich doch schon einmal… Richtig: hier. Diesmal war allerdings eine Schaltungs-Korrektur erforderlich.
Ruhestrom-Abgleich
Beim ersten Abgleichvorgang stellte sich nun heraus, dass sich eine Sovtek-Röhre scheinbar als „faules Ei“ entpuppte. Die ersten fünf Minuten standen die Ruheströme (55mA) vorbildlich. Dann war’s vorbei mit der Herrlichkeit: Zuerst zappelte die Ruhestrom-Anzeige des Messinstrumentes und dann schnellte der Ruhestrom beim „faulen Ei“ in die Höhe. Okay, anderes 6550-Quartett (diesmal „echtes“ EH) eingesetzt und das ganze Spiel von Neuem… Da schmierten die Ruheströme sofort weg, wenn man in die Nähe von 45mA kam…
Da scheint etwas in Schwingung zu geraten. Doch Obacht: „The Owls are not what they seem…“
Und nun das, was nicht richtig „gewürdigt“ wurde: Die Unterseite der oberen Abdeckplatte sah an einer Stelle so aus, als ob sie einer starken Hitzeeinwirkung ausgesetzt war. Da hat’s wohl mal gekokelt. Nur – davon war jetzt nichts zu sehen, weshalb das auch ein Grund war, das dann auch nicht weiter zu verfolgen. Später stellte sich heraus, dass die Schirmgitterwiderstände schon einmal ersetzt wurden. Ursprünglich ebenfalls wohl ein Carbon-Composit, jetzt ein 4-Watter. Wahrscheinlich Metall.
Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass mit „nur“ 35mA bis 40mA die Röhren ziemlich stabil arbeiteten. Alles darüber hinaus führte zu Instabilität. Was ist denn da nur faul…?
Überraschung!
Ich glaube, ich habe in der letzten Zeit zuviel mit dicken Trioden gearbeitet… Also, kurz und knackig: Die Endröhren haben „einfach“ nur zuviel Dampf im Kessel. Beziehungsweise am Schirmgitter lag eine zu hohe Spannung bzw. sie lag etwas über (!) der Anodenspannung. Ein 100Ω-Schirmgitterwiderstand nutzt da überhaupt nichts… Ist ja wieder mal typisch Ami-Amp: Immer schön bis an die Kotzgrenze… Hauptsache Watt. Egal wie.
Zur Erinnerung: Die Betriebsspannung für die 6550 beträgt 420V. Das wirklich abolute Maximum für das Schirmgitter im Pentodenbetrieb beträgt aber bei EH 400V (!), bei Sovtek 440V (!). Ein Pentoden-Grundsatz ist zudem (Achtung!), dass die Schirmgitterspannung niedriger sein muss, als die Spannung an der Anode (Ausnahme Triodenmodus). Genau dieser Grundsatz wird aber „verletzt“.
Aber…
Dass man bei Audio Research solche grundlegenden Dinge nicht beachtet, ist schwer vorstellbar. Ein falsch gewählter Gitterableitwiderstand ist eine Geschichte, eine andere, die Grenzdaten zu ignorieren. Nun, das haben sie „irgendwie“ ja auch nicht getan…
Sie erinnern sich vielleicht noch an den Eingangs verlinkten Artikel zum VTL-Verstärker (Manley)? Bei diesen Verstärkern werden die selektierten (!) Endröhren ebenfalls mit einer sehr hohen Schirmgitterspannung „gequält“. Audio Research verfolgt(e) ein ähnliches Prinzip.
Wie auch bei Manley interpretiert man die Datenblattangaben wie folgt: „Wichtig ist nicht die Spannung, sondern der Schirmgitterstrom bzw. die daraus resultierende Schirmgitterbelastung in Watt.“ Diese beträgt bei der 6550 als Dauerbelastung rund 6W. Solange diese Grenze nicht überschritten wird, ist – nach deren Meinung – alles in Ordnung.
Damit das nun überhaupt so wie gedacht funktioniert, darf die Versorgungsspannung dabei nicht einbrechen. Daher also die Wahnsinns-Siebkapazität im Netzteil. Und es sind wirklich ausgesuchte Röhren erforderlich. Je höher man den Ruhestrom einstellt bzw. ausgesteuert wird, desto höher eben auch die Belastung des Schirmgitters. Die Spannung sackt ja nicht, oder kaum, ab. Aber der Schirmgitterstrom steigt – je nach Anforderung – und damit auch die Belastung (Watt, Produkt aus Spannung und Strom).
Jetzt ist klar, warum die Wald-und-Wiesen-6550 „nur“ bis 40mA (besser 35mA) Ruhestrom „stabil“ arbeiteten. Und jetzt ist auch klar, wie man unter diesen Bedingungen (bestenfalls messtechnische) 50W herausgekitzelt haben will. Warum man allerdings seinerzeit von der ursprünglichen EH-6550 auf die 6550C auswich, lässt sich vielleicht damit erklären, dass diese den den hohe Ruhestrom (Anfangs 65mA, dann 55mA) und damit auch die Schirmgitterbelastung (vielleicht) besser „verknusen“ konnte.
Röhren aus St. Petersburg gibt es ja schon seit einigen Tagen nicht mehr.