Audio Research VS55

Was nun?

Andere Fabrikate (in der Regel Sarratov-Fabrikation, also ehemalige Sovtek-Werke) ausprobieren? Das kann eine teure Verprobung werden, zumal die Erfahrung gemacht wurde, dass bei Röhren aus aktueller Produktion nicht immer das drin ist, was auch drauf steht. Alte Original-Sovtek 6550C-WE bestellen? Bei Audio Research um ein selektiertes 6550-Quartett bitten (ist ja auch Sovtek)? Naja, wem die Preise nicht abschrecken…

Die Schirmgitterbelastung war und ist wohl immer schon ein Thema gewesen. Die Idee, eine KT120 einzusetzen, scheint zwar folgerichtig zu sein, zieht aber aufgrund der gestiegenen Heizungsanforderungen andere Probleme nach sich. Eine KT88 wiederum verhält in diesem Fall wie eine 6550.

Die einzige und zugleich preiswertere Lösung ist, die Belastung des Schirmgitters zu senken indem man den Schirmgitterwiderstand derart ändert, dass die Spannung unter dem der Anode liegt und damit die Belastung auch normale (aber gute) 6550 verkraftbar (und vertretbar) werden. Ähnliches steht sogar im Origininal-Datenblatt von Svetlana (Winged-C, nicht das Geschreibsel von EH aka Sarratov).

Allerdings sollte klar sein, dass 50 (messtechnische) Watt dann eher ein Träumchen werden… Der neue Schirmgitterwiderstand wird übrigens aus zwei parallel geschalteten 2W-Kohleschichtwiderständen gebildet. Kohle (im allgemeinen) hat nämlich deutlich bessere HF-Dämpfungseigenschaften als Metall. Ein Drahtwiderstand verbietet sich hier.

Das war’s. Auch mit den mitgelieferten Sovtek-Röhren lässt sich jetzt ein Ruhestrom bis 50mA sauber und stabil einstellen. Maximal möglich sind damit etwas mehr als 40W. Nach europäischer Messmethodik.

Stunde der Wahrheit

Messtechnisch ist nun alles im grünen Bereich. Doch wie hört’s sich an? Ohne »Basserweiterung« war’s wie der berüchtigte amerikanische Kaffee zum Frühstück. Gefärbtes Wasser, quasi… Also geht’s nicht ohne diese Trickserei. Es brauchte dann auch ein paar Versuche, um die richtige Verdünnung (Homöopathie eben) der »Basserweiterung« zu finden.

Klanglich nun ein Unterschied wie Tag und Nacht. Achwas: Das liegen weite Welten dazwischen. Die Mitten sind nun deutlich hörbar, die Höhen leicht spritzig und die Tiefen kommen mit dem richtigen Punch daher. Trotz der Überarbeitung kann (und sollte) der VS55 seine amerikanischen Gene ja nicht verleugnen. Trotz – oder gerade – der Kathoden-Kopplung, die den Verstärker, auch bei einem Bassgewitter, eine gewisse »Contenance« bewahren lässt.

Im Original-Manual steht etwas über die Lebensdauer der Endröhren. Etwas verklauseliert aber immerhin: Audio Research ging hier von etwa 2000 Stunden aus. Aber nur bei den wirklich hochselektierten Endröhren von deren Gnaden. Bei rund 4 Stunden tägliche Inbetriebnahme hiesse das: Spätestens (höchste Eisenbahn, Rubbeldiekatzaberflott) nach anderhalb Jahren wären neue Endröhren fällig. Zumindest aber eine umfangreiche Überprüfung.

Das wird aber ein teurer Spass. Mit dieser Überarbeitung sollte sich das aber relativiert haben.

VS55 vs. VSi55 vs. i/50

Der Unterschied zwischen VS55 und VSi55 liegt zunächst »nur« bei den digitalen Spielereien. War zur damaligen Zeit halt etwas Neues. Die eigentliche Verstärkereinheit des VSi55 weist allerdings ein paar (entscheidende) Unterschiede zum VS55 auf. Die da wären: Die nicht mehr so straffe Gegenkopplung (wodurch sich auch die Eingangsempfindlichkeit ändert) und die reduzierten (aber immer noch viel zu stark dosierten) Tiefton-Steroide.

Das neue i/50-Modell scheint verstärkertechnisch eine Neuauflage des VSi55 zu sein. Nur eben mit 6922 (ECC88) Vorstuferöhren, anstatt den 6N1P-Röhren. Viel mehr lässt sich nicht finden.

Die Kathoden-Kopplung

Anders als üblich, liegt statt am 0Ω-Anschluss die Schaltungsmasse am 4Ω-Lautsprecheranschluss. Die am 8Ω- bzw. 0Ω-Lautsprecherausgang anzuschliessenden Messgeräte (zB. Oszilloskop) sollten daher Potentialfrei sein und über getrennte Masseanschlüsse verfügen. Das Gleiche gilt auch für – wie auch immer geartete – (teil-) aktive Lautsprechersysteme.

Was aus den Schaltplänen nicht hervorgeht ist, dass der Ausgangsübertrager noch einen 16Ω-Abgriff hat. Die Kathode einer Endröhre hängt also nicht direkt am Lautsprecher, sondern – anders als erwartbar – am 16Ω-Abgriff des Übertragers, der übrigens ein ganz normaler Übertrager ist. Nix mit Spezialausführung oder so…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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