300B Single-Ended auf klassische Art

Zur Sache, Schätzeken

Ob Sie es glauben oder nicht: Das Gröbste hätten wir. Erst wenn die Vorstufe richtig arbeitet, können wir den „schnöden“ Rest in Angriff nehmen. Nehmen Sie sich Zeit, um die Vorstufe im Groben zu optimieren. Was man hier versaubeutelt, kann keine 300B mehr geradebiegen! Wenn Sie mit dem Ergebnis zufrieden sind, entfernen Sie das Provisorium!

Als Intermezzo nun etwas über Kondensatoren im allgemeinen und Koppelkondensatoren im Besonderen. Dort sind auch zwei Formeln zu finden.

Drogensuchtberatung

Seitdem die 300B zur HiFi-Droge zählt, versuchen Röhrenhersteller an dieser „Sucht“ zu partipizieren. Keine andere Röhre wird so oft nachgebaut, wie eben die 300B. Und da liegt der Hase im Pfeffer!

Die Qualität der WE-300B (bzw. die damals in Lizenz gefertigten Trioden) ist unerreicht. Punkt. Deswegen wagten es die Techniker auch, eine WE-300B auch mit einem 400kΩ Gitterableitwiderstand zu „versorgen“. Das wollen wir heute gar nicht erst versuchen nachzumachen!

Die Anzahl der 300B-Mutation ist proportional zu den entsprechenden Schaltungsvariationen. Da gibt es Trioden, die sich die 5V-Heizspannung mit 1,5 statt mit 1,2 Ampere reinpfeifen, sog. Mesh-Plates (Maschendrahtzaun-Röhren), Anoden aus den verschiedensten Materialien, „Hochleistungsröhren“ und was weiss ich noch alles.

Also, strenggenommen ist alles, was vom Ursprung abweicht, keine 300B mehr (das gibt es aber auch bei anderen Röhren) und nur ganz selten werden die Unterschiede beim „dealen“ auch kenntlich gemacht. Diverse Forenbeiträge sind deshalb mit allergrösster Vorsicht zu geniessen! Meist beziehen sich die dortigen „Empfehlungen“ nur auf den jeweiligen Verstärker – ein echter empirischer Test der verschiedensten 300B’s in ebenso unterschiedlichen Röhrenverstärkern gibt es nicht.

Der Gitterableitwiderstand ist bei manchen Schaltungen so eine ganz spezielle Geschichte. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass man hier die Maximalwerte als Musswerte gleichsetzt. Und damit treibt man die Röhre an den Rand dessen, was ihr noch gut bekommt. Hochlaufende Ruheströme, geschossene Kathodenelkos und schlussendlich ’ne kaputte 300B sind die Folge (Generell gilt: Eine Röhre, die Gitterstrom gezogen hat, ist defekt). Speziell die FullMusic-Röhren (gibt’s auch unter dem Namen „Sophia“) haben es in sich! Datenblatt ist Pflicht ebenso wie selektierte und ausgemessene Gläser! Nochmals: Manchmal geben die Datenblätter etwas vor, was nie nicht erreicht werden kann.

Nehm‘ ich die da, oder nehm‘ ich die da?

Ich will und kann hier keine Empfehlung abgeben! Mein Favorit ist die ganz „simple“ (goldene) 300B von Electro Harmonix oder JJ. Kein Bling-Bling und kein Schicki-Micki. Man hat hier nur etwas mehr „Röhrenoptik“ ins Glas gezaubert, denn auch bei der WE-300B sah man den glühenden Heizfaden erst auf den zweiten Blick. Die Emission Labs Gläser sollen, dem Vernehmen nach, auch ganz gut sein… Achtung: In einigen guten Nachbaubeschreibungen gibt der Autor an, welche 300B er eingesetzt hat. So manches „Sparbrötchen“ oder „Bling-Bling Freak“ meint es da besser zu wissen und setzt dann Röhren ein, die in dieser Schaltungsumgebung nur zum sterben verurteilt sind. Natürlich ist dann der Autor schuld.

Der Einkauf gestaltet sich entsprechend: Ein ausgemessenes Röhrenpaar mitsamt Datenblatt aus dem ersichtlich ist, wie hoch der Gitterableitwiderstand maximal sein darf! Wird bei den Mess-Angaben etwas anderes genannt als Volt (V) und Milliampere (mA) und evtl. noch Watt (P), dann ist das Verarsche und Sie sollten Konsequenzen ziehen. Und, je lauter das Getöse um die neue 300B nach Western Electric Art, desto weniger steckt dahinter. Wenn Sie meinen, ich verzapfe hier Blödsinn, bitte… Ist Ihre Knete.

Detail-Schaltplan? Nee, spare ich mir hier an dieser Stelle. Es wäre nämlich nahezu eine exakte Kopie der legendären WE-91, nur etwas „moderner“. Konzentrieren wir uns auf den Gitterableitwiderstand, den Koppelkondensator und den Kathodenwiderstand. Diese drei Dinge sind zu modifizieren. Wir leben ja schliesslich nicht in den 1930’er Jahren.

Mit dem ursprünglichen 47 Nanofarad Koppelkondensator erreichen wir nur zeitgemäßes HiFi, wenn der Gitterableitwiderstand 400 Kiloohm beträgt. Letzteres sollte man heute keiner Röhre mehr zumuten. Mit guten 300B’s ist man mit etwa 200kΩ ganz gut dabei, wobei wir den Trick des aufgeteilten Widerstandes aus dem WE-91 beibehalten wollen. Der obere Widerstand ist ein 180kΩ, der untere Widerstand ein 20kΩ- bzw. 22kΩ- Widerstand. Als Koppelkondensator reicht in den allermeisten Fällen ein 0,1µF MKP Kondensator. Damit liegt man bei einer unteren Grenzfrequenz von etwa 8Hz (genau wie im WE-91). Das erlaubt dann wieder, etwas am Anodenwiderstand der Pentode zu drehen, um den Verstärker einen Tick schneller zu machen (genau wie im WE-91) …

Es gibt (bezahlbare) 300B’s, da legt der Hersteller seine Hand dafür ins Feuer, das diese auch mit einem 400kΩ-Gitterableitwiderstand fertig werden… Naja. Papier ist geduldig… Die „goldenen Gläser“ von EH sollen dazu gehören. Dann – aber auch nur dann – kann der Widerstand höher gewählt werden. In die Nähe von 300kΩ würde ich trotzdem nicht gehen. Man könnte dann folgende Werte wählen: 220KΩ plus 20kΩ. Dann kann man auch den Wert des Koppelkondensators auf 0,068µF (68nF) verringern. Ein Null-Komma-Einser tuts zwar auch, dann ist ein guter Übertrager Pflicht.

Wenn Sie einen noch höheren Widerstandswert einsetzen wollen, dann aber auf eigene Gefahr. Bedenken Sie dabei aber, den Wert des Koppelkondensators anzupassen! Wichtiger Hinweis: Wenn man unbedingt die Geschichte mit dem Ultrapath-„Gedöns“ machen will, dann sollte der Wert des Gitterableitwiderstandes so hoch wie nur möglich gewählt werden, um so weniger Probleme gibt’s mit dem Ultrapath-Kondensator.

Update 2023: Ich verwende die Ultrapath-Geschichte mittlerweile gar nicht mehr.

Die FullMusic-300B und die China 300B-98 (ist prinzipiell ’ne brauchbare Anfänger-Triode) müssen einen noch niedrigeren Gitterableitwiderstand vorgesetzt bekommen und dann wirds eng. In vielen Röhrenverstärkern ist die 300B-98 mit 100kΩ beschaltet. Um da noch richtiges HiFi zu erhalten, müsste man mindestens einen 0,47µF Koppelkondensator einsetzen. Den jedoch kann die Treiber-Pentode nicht richtig bedienen. Die Ultrapath-Geschichte kann man auch vergessen.

Lebensversicherung für die 300B?

Datenblattpapier ist geduldig. Was man letztendlich an Qualität bekommt, zeigt sich erst, wenn die Röhre arbeiten muss. Wer schon einmal eine hochlaufende Röhre erlebt hat, der denkt gerne an eine Versicherung. Die ist in diesem Fall recht simpel. Fast jede 300B macht bei einem Ruhestrom von 100mA zicken und ist spätestens bei 120mA kaputt (das geht rasend schnell). Was liegt da also näher, als mit einer Schmelzsicherung (100mA träge) zu arbeiten? Diese wird dann einfach am Masseanschluss des Kathodenwiderstandes angeschlossen. Ob diese Sicherung tatsächlich die 300B schützt, weiss man erst hinterher. Also, keine Garantie!

Update 2023: Vergessen Sie die Geschichte mit der Sicherung.

Die Ultrapath-Geschichte

Als 1µF Kondensator, der vom aufgeteilten Gitterableitwiderstand zur künstlichen Kathode geschaltet wird, wird ein MKT-Typ mit einer 250V Spannungsfestigkeit gewählt. Der 10µF Ultrapath-Kondensator ist ein 600V MKP-Typ.

Der Kathodenwiderstand…

… ist abhängig von der Betriebsspannung und der Röhre selber. Dieser Widerstand bestimmt den Ruhestrom der 300B und trägt damit ganz entscheidend zum Klanggeschehen bei. Je nach Röhre ist ein Ruhestrom von etwa 60mA bis maximal 70mA Zielvorgabe (das Datenblatt der 300B erlaubt noch 80mA). Der Hinweis auf den sagenumworbenen 880Ω-Widerstand, womit sich der Ruhestrom automatisch auf 65mA einpendelt, ist (leider) nicht immer richtig. Ein 1kΩ-Widerstand oder ein 1,2kΩ-Widerstand kann auch der richtige Wert sein, um die „goldene Mitte“ (65mA) zu treffen. Es bleibt einem nichts anderes übrig – das muss man ausprobieren. Widerstandswerte unter 880Ω sind zu 99,99% völlig daneben.

Single-Ended typisch wird der Kathodenwiderstand hübsch warm. Es muss daher ein 50W Drahtwiderstand (Hifi-deutsch: Wired Wound) eingesetzt werden. Die kleinen „Aluminium housed“ -Widerstände müssen ans Chassisblech montiert werden! Ohne diese Kühlung verträgt so ein Widerstand keine 20W.

Anders als im WE-91 Original wird der Kathodenwiderstand mit einem Elko gebrückt. Mit 100µF liegt man fast immer richtig. Als Spannungsfestigkeit sind mindestens 160V zu empfehlen. In diesem Spannungsbereich gibt es keine Audio-Elkos mehr, weshalb hier noch ein 1µF/160V MKT parallel geschaltet werden sollte! Als Elko wählen wir einen sehr guten 105°C Typ und montieren den nicht in die Nähe des Kathodenwiderstandes (auch wenn man das immer wieder sieht).

Prinzipiell wars das. Ah… Halt, da gibts noch was. Quasi so als Nachtrag.

Eisen…

Die Sucht macht erst dann richtig süchtig, wenn richtiges Eisen (Übertrager und Netztrafo) verwendet werden. Was nützen sauteure 300B-Gläser, wenn als Übertrager „Bastlertrafos“ eingesetzt werden? Hier spart man oft am falschen Ende.

uebertragerMeine favorisierten Übertrager sind nach dem europäischen M-Schnitt gefertigt. Die restliche Welt bevorzugt den EI-Schnitt. Ich will mich hier nicht in einem Glaubenskrieg verwickeln lassen… Ich bleibe bei M-Kernen. Das aber, was man bei 300B-Verstärkern häufig sieht, sind „verpackte“ (also mit Trafohaube) EI-Kerne. Durch die „Verpackung“ wird zwangsläufig etwas vorgegaukelt, was nicht da ist – und das ist Eisen. Die „verpackten“ oftmals auch „gepottete“ Übertrager haben ihr Äquivalent im M-85 Kern und das schränkt den Frequenzbereich ordentlich ein. Wer solche Übertrager verwenden will, tappt unweigerlich in die Asia-Falle, denn in diesem Kulturkreis hört man anders, nämlich wesentlich (für europäische Ohren) „schlanker“ – dafür scheinbar „hochauflösender“ (was kein Wunder ist, denn wer sich schon einmal mit der japanischen oder chinesischen Sprache beschäftigt hat, der weiss, dass es auf die Betonung einer Silbe ankommt – salopp formuliert: Ob wir beleidigen oder loben kann nur an die Betonung einer einzelnen Silbe liegen).

Das ist für mich alles nicht tragbar. Ich will, dass der Übertrager zumindest das Subcontra-C (16Hz) noch einigermaßen sauber zum Lautsprecher schickt. Und eine obere Grenzfrequenz von nahe 80kHz garantiert ein sauberes Übertragungsverhalten ohne Phasenverschiebungen. Meine favorisierte M102-Grösse ist für diese Art von Verstärker zwar „etwas“ oversized, aber der Übertrager liefert mir echtes HiFi und pfuscht nicht am Signal herum. Anders formuliert: So ein dicker Übertrager kommt erst gar nicht in die Nähe seiner Grenzdaten und kann daher auch bei maximaler Lautstärke einer 300B mit einem studiotauglichen Frequenzgang aufwarten: 20Hz bis 22kHz minus Nullkommaschlagmichtot Dezibel. Kleinere Kerne schaffen das so nicht.

Nehmen Sie daher Übertrager die aus Übertragerblech bestehen! Mit Dynamoblechen (Schönfärberisch auch Transformatorblech) tun Sie sich wirklich keinen Gefallen. Das passt eh‘ nicht zusammen: Man frönt einerseits dem 300B-Fetisch, lässt aber gleichzeitig das Sparbrötchen beim wichtigsten Bauteil eines Röhrenverstärkers heraushängen.

Übrigens: Hinter so mancher Blechbezeichnung (M111xxxx) verbirgt sich kein M111. Lässt sich schwer nachprüfen.

Idealerweise besitzt der Übertrager noch verschiedene Ra-Anzapfungen von 3kΩ bis 3,5kΩ um den Übertrager optimal an die Röhrenschaltung anpassen zu können. Hinweis: Auch ein Ra von 4kΩ oder 4,5kΩ ist so verkehrt nicht…

Nebensache?

Und da wäre noch die: Gegenkopplung
Es ist lohnend, mit der Gegenkopplung zu experimentieren. Ich persönlich würde hier immer eine moderate Gegenkopplung einsetzen. Das erhöht die Stabilität des Verstärkers, hängt aber auch wesentlich vom verwendeten Lautsprecher ab. Bereich: etwa 3kΩ bis maximal 4kΩ. Meist wird ein 3,3kΩ eingesetzt. Evtl. muss ein Styroflexkondensator (22pF bis 47pF) parallel geschaltet werden, um Zischlaute zu bändigen.

Und da ist noch das Boucherot-Glied am Übertrager-Ausgang. Es wirkt hier etwas linearisierend und es schützt den Übertrager vor den „zufällig“ abfallenden Lautsprecherkabeln. Gerade Eintakter reagieren verflucht allergisch auf fehlenden Last!

Tja. Das wars. Und nun endlich ein paar Schaltungsvorschläge. Lang genug haben Sie ja darauf gewartet. Audio Note hat auch einen Schaltungsvorschlag online. Ich kenne diese Dinger… Wenn Sie das nachbauen wollen, dann sollten alle Kapazitäten (bis auf C4) auf den Prüfstand geschickt werden.

Nochmals der Hinweis, dass diese Schaltungen hier nicht narrensicher zum Nachbau gedacht sind. Sie sollen nur zeigen, dass es anders geht – ganz ohne Western Electric Gläser. Auch sind manche Bauteilwerte „nicht ganz richtig“ oder beziehen sich zB auf einen anderen Röhrengleichrichter.

Update 27.09.2016
Um eine Erfahrung reicher bin ich mit dem Einsatz eines gleichspannungsgekoppelten Kathodenfolgers zwischen Pentode und 300B geworden. Auch eine 300B mag es, wenn die niederohmig angesteuert wird.

Zwischenzeitlich lasse ich die Finger von Metallwiderstände. Moderne Kohleschichtwiderstände sind deshalb angesagt, weil sie wieder verfügbar sind. Raten Sie mal, warum… (Nein, die Dinger rauschen nicht.)

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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