Hörerlebnis

Von kugeligen Wellen und breiten Bändern!

Zugegebenermaßen habe ich die »Glaubenskämpfe« im Bereich der High Fidelity nie so recht verstanden, da man nur Ohren besitzen muß, um zu hören (wer sagte das doch gleich?). Schaue ich zurück auf meine mittlerweile 35 Jahre Beschäftigung mit der Thematik, fällt deutlich auf, daß sich prinzipiell nichts geändert hat. Gestern wie heute wird das Rad täglich neu erfunden, präsentieren Entwickler und Verkäufer Ideen wie Produkte von weltexklusiver, unikater Niedagewesenheit. Denkste, (fast) alles hat es schon mal gegeben – und gestern wie heute kursieren Diskussionen um des Kaisers Bart.

breitband-lautsprecherGreifen wir zwei prominente Beispiele heraus, nämlich Technologien, welche die Szene seit langem heftig polarisieren, beinahe schon schismatisch wirken: den Hornlautsprecher und das Breitbandsystem; möglicherweise werden lebensjüngere Leser diverse Fakten, hier teils nur kurz angemerkt oder umrissen, zum Zwecke des bessseren Verständnisses nachrecherchieren müssen; diese Arbeit aber lohnt sich und könnte mithelfen, zukünftig fundierter zu urteilen.

Bloß eine Frage der Dynamik?

In den späten 70er Jahren (des vergangenen Jahrhunderts – ja, die Zeit vergeht…) machte ein ungewöhnliches Lautsprecherkonzept von sich reden: Es handelte sich um aktive Dreiwegsysteme mit kapazitiver Gegenkoppelung aller Bereiche. Für die damalige Zeit, in der professionelle Studiomonitore noch weitaus weniger im Bewußtsein des Hifianers waren als heute, setzten sie neue Maßstäbe hinsichtlich der Faktoren Fein- und Durchzeichnung, Ortungspräzision und musikalischer Detailtreue.

In Gießen residierten zudem einige Leute, die mit goldenen Ohren, Know-How und Meßequipment diese Fähigkeiten des gegengekoppelten Systems nochmals zu steigern wußten. Ich war anfangs begeistert von jenem Lautsprecher, der meine geliebte Alte Musik in einer Weise reproduzierte, wie ich es nie zuvor hören konnte. Kritik kam aber recht bald von Seiten der Rockmusikhörer und den Liebhabern großbesetzter, mit adäquatem Pegel goutierter Werke: beide Spezies erwarteten »Schmackes«, hohe Lautstärke, Power pur eben, wonach wohl jedem manchmal der Sinn steht.

Genau dies aber vermochte das empfindliche Produkt nicht zu leisten; der Maximalschalldruck bewegte sich in der Größenordnung von 86 dB. Die Diskussionen erfaßten die gesamte Szene, wobei schließlich die Befürworter von Hornsystemen argumentierten, es ginge ihnen um Klang (was auch immer damit gemeint gewesen sein mag) – und Lautstärke sei nun einmal die Domäne des Horns. Unbestritten, und so tourte ich durch die Republik, hörte mir etwelche Hornlautsprecher an, darunter selbstverständlich jene legendenumrankten Eckhörner aus der Hand eines sattsam bekannten US-amerikanischen Herstellers sowie größere und kleinere Modelle diverser internationaler Mitbewerber. Ergebnis der Forschungsreise: Richtig – Lautheit, anspringende Dynamik und scheinbar grenzenlose diesbezügliche Reserven zeichneten zumindest die größeren Hornmodelle aus. Doch kamen sie für mich allesamt nicht in Frage, da jedes mehr oder weniger – meistens mehr – mit teils unerträglichen Verfärbungen aufwartete. »Geblasene Geigen« finde ich kaum reizvoll und verstand den oftmals geradezu sektiererisch beschworenen »Klang« nicht, störte mich an den »trötigen« Tonkonglomeraten – daher stand nie ein Hornsystem in meinem Hörraum.

Das ist in der Jetztzeit aber ganz anders, die Weiterentwicklung des Kugelwellenhorns ermöglicht nunmehr verfärbungsarme Wiedergabe – so könnte argumentiert werden. Mag sein, will ich nicht bestreiten, doch Erfahrungen sitzen tief und wirken prägend. Tatsache ist, daß es mittlerweile im Hifi-Bereich Hornsysteme gibt, mit denen man entspannt und genußvoll, mit relativ geringen artifiziellen Beimischungen, Musik genießen kann. Dennoch, und trotz beeindruckender Dynamikwerte, vermag ich immer noch nicht über meinen Schatten zu springen. Apropos Entwicklung: Zweifelsohne übertreffen moderne Hifi-Hörner die weiter oben angesprochenen Klassiker beträchtlich, was nun aber keineswegs die Schlussfolgerung ermöglicht, es habe eine Entwicklung im Wortsinne stattgefunden. Wie eingangs erwähnt, hat es (fast) alles schon mal gegeben, ergo auch das (so gut wie) verfärbungsfreie Horn! Doch der Reihe nach. Im Gefolge meiner weiter oben angesprochenen Hör-Sessions und angesichts der argumentativen Diskrepanzen sowie »klangweltanschaulichen« Postulate der Hifianer und der von ihnen verehrten bis zuweilen vergötterten (…) Entwickler, wandte ich mich, zögerlich und kenntnisarm zunächst, der Studiotechnik zu. In deren Bereich entdeckte ich ein Lautsprechersystem, das als professioneller Regiemonitor für Studiozwecke musikalische Detailpräzision, exakte positionale Darstellung und eben auffallende Verfärbungsarmut besaß.

Die Rede ist vom wirklich legendären Klein & Hummel OZ: Zwei in der Horizontalvariante nebeneinander montierte Altec-Chassis mit je 30cm Durchmesser (es gab auch eine Vertikalversion des OZ mit 139cm Höhe) deckten den Tief- und unteren Mitteltonbereich ab, bei 800Hz übernahm ein recht großvolumiges, ebenfalls von Altec gefertigtes Druckkammer-Hornsystem.

Klein und Hummer LautsprecherDer vollaktive Monitor mit »erwachsenen« Abmessungen wies nicht nur die bereits genannten ausgezeichneten Reproduktionsqualitäten auf, er war sogar geeignet, große Räume mühelos zu beschallen – druckvoll, vorbildnah. Anno 1985 konnte ich im Rahmen einer Tonträger- produktion die OZ in einem privaten Tonstudio nochmals hören – obwohl durch die seinerzeit von mir betriebenen, neutral und linear abgestimmten Spendor BC 1A/ARD sensibilisiert, begeisterten sie mich neuerlich, unterstrichen meine These, daß es nicht auf die Technologie als solche ankommt, sondern auf deren gekonnte Umsetzung, bzw. Realisierung. Und ehe ich’s vergesse: Der Monitor Klein & Hummel OZ erblickte 1970 das Licht der Welt und wurde bis 1980 produziert… es war eben (fast) alles schon mal da und mir drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was die Hifi-Entwickler in der Zwischenzeit denn gemacht haben…? Das praktisch verfärbungsfreie Horn gab es damals schon – vielfach nicht erkannt von der hyperklugen Hifi-Szene, trotz des hohen Ansehens, das Altec in ihr genoss und heute noch geniesst. Oder lag es an einigen zum Scheitern verurteilten raderfindenden Versuchen, mit abenteuerlichsten Konstrukten ins klangliche Nirvana einzugehen? Denn das Altec-Horn wurde tatsächlich in mehreren Hifi-Lautsprechern verwendet, hat aber niemals und nie wieder so gespielt wie im aktiven Studiomonitor Klein & Hummel OZ. Nun ja…

Breite Bänder und so weiter

»Wann berichten Sie im Hörerlebnis mal über Breitband-Lautsprecher?«, so die Frage, die mir telefonisch hin und wieder von Lesern gestellt wird. Bislang haben wir uns da bewußt zurückgehalten, denn was mir breitbändigerweise zu Gehör gekommen ist, schien des Erwähnens kaum wert. Von Paarungleichheiten im Bereich um sechs und mehr Dezibel bis hin zu insgesamt träger, schlapper, schaudervoll verfärbter Wiedergabe ließen sich zahllose Zwischenstufen des realakustischen Grauens ins Feld führen. Und erst die Sprungantwort: Aus dem druck- und kraftvollen Punch (nennen wir es »Krawumm«) des Schlagzeugs wird blutleerdünnes »Wupp«; Vergleichbares gilt für sämtliche dynamischen Schallereignisse. Was hat das mit High Fidelity zu tun, wie konnte dieses Genre des Lautsprecherbaus solche Furore machen? Reminiszenz an die 20er Jahre? An die Radioapparate aus den frühen Fünfzigern, wo ich als Kind noch davorsaß und die Märchenstunde mit Eduard Marks ebenso verfolgte wie die Kalle-Blomquist-Hörspiele? Kann wohl nicht sein – eher dürfte es die Folge jener allzu enthusiastischen Berichterstattung von Götz Wilimzig im OHR gewesen sein: »…die Callas erhält die emotionale Durchschlagskraft einer Bombe…«, »…wer je vor diesen Lautsprechern saß, hat geweint…«.

Letzteres glaube ich unbesehen. Fragt sich nur, warum? Was macht etliche Zeitgenossen beim Breitbänderhören so an? Offen gesagt: ich verstehe es nicht. Dabei ist doch alles ganz einfach: Live-Konzert anhören, zu Hause einen Tonträger mit vergleichbarer Musik auflegen – wenn das zuvor gehabte Feeling nicht rüberkommt, stimmt an der Wiedergabe was nicht. Sicher: Live und Konserve sind zwei Paar Schuhe, doch wirklich guten Anlagen gelingt die glaubhafte, livenahe und emotional zupackende Reproduktion; wobei natürlich nicht vergessen werden darf, daß Grossbesetztes logischerweise weniger Realitätspotential besitzen kann denn kleiner Besetztes.

Das Berliner Symphonie-Orchester passt wohl in kein normalübliches Wohnzimmer – die Hifi-Anlage aber soll es dort integrieren. Geht nur mit erheblichen Abstrichen: Je grösser das wiederzugebende Ensemble, desto höher prägt sich der Miniaturisierungseffekt aus; was übrigens auch aufnahmeseitig gilt. Auch aus diesem Grunde hören erfahrene Hifianer gerne kleinere Jazz-Combos, Solisten, Quartette, Quintette, Folklore oder eben Alte Musik: das läßt sich glaubhaft reproduzieren, wirkt deutlich livenäher als große Orchester. Weil halt die Dimensionen (eher) stimmen. Nun subsummiert sich unter den Breitband-Liebhabern eine signifikant hohe Zahl überwiegend E-Musik, nämlich symphonische E-Musik, hörender Anwender. Da der Breitbänder von Hause aus Dimensionen zusammenrückt (-drückt?), dynamisch grundsätzlich limitiert, entstehen weniger Probleme bei der Wiedergabe. Fehlender wirklicher Tiefbaß und nicht oder kaum existente Schubkraft lassen das Problem stehender Wellen oder Raumresonanzen gar nicht erst aufkommen; beim ersten Hinsehen vorteilhaft, verschenkt man aber doch ein gut Teil dessen, was lebendige Musik ausmacht.

Liebhaber anämisch schwacher Eintakt-Triodenverstärker wenden sich gerne dem Breitbänder zu, der nur wenig Leistung braucht – ob das aber wirklich »ganz groß« ist (wie damals im OHR formuliert), möchte ich nicht kommentieren. Der Breitbandlautsprecher benötigt keine Freuquenzweiche, weshalb dieses Nadelöhr im Signalweg entfällt. Wer nun aber glaubt, damit den Stein der Weisen gefunden zu haben, irrt gewaltig: Die Physik läßt sich nicht ausklammern und schlägt gnadenlos zu, wenn versucht wird, mit einem einzigen um die 15 bis 20cm durchmessenden Chassis den gesamten Musikfrequenzbereich zu übertragen.

Die grosse Konusmembrane vermag den hohen Frequenzen nicht zu folgen, auch wenn so mancher Kunstgriff versucht wird. Vergleichbares gilt für die schon erwähnte Sprungantwort, das zeitgenaue Ein- und Ausschwingen bei schnellen Impulsen: hier spielt die Musik quasi mit angezogener Handbremse, Stichworte: Masseträgheit, Beharrungskraft, Bündelungsmaß. Bleiben auftretende Impulsschnellen moderat, der zu übertragende Frequenzbereich ebenso, kann man mit einem sorgfältigst gefertigten Breitbänder durchaus Musik hören – auffällig, daß deren Betreiber gerne Stimmen vorführen. Doch wehe, ein Heldentenor steigert sich in die ihm möglichen Volumina, wird gar noch von einsetzenden Begleitinstrumenten akzentuiert … dann wird’s wieder nurmehr zu »Wupp« und »Plöpp« – und ein herzhafter Rechtsdreh am Lautstärkeregler sollte ohnehin tunlichst unterbleiben. Berieselung in maximal Wohnzimmerlautstärke, dynamisch eher wenig Ausgeprägtes, weiche Töne, Verzicht auf spürbare Attacke, das Vibrieren des Zwerchfells und alles, was Live so spannend gestaltet – wer damit leben kann und will, findet im Breitbandlautsprecher sicher einen Partner.

Nun gibt es einige ganz wenige »Einwegeriche«, die mehr können, ansatzweise Druck und Volumen bieten, ein hörbar breiteres Frequenzspektrum aufweisen. Zwar vermögen sie keineswegs guten Mehrwegsystemen – und erst recht nicht aktiven Monitoren – das Fürchten zu lehren, doch die Musikrezeption erscheint ob der größeren Informationsdichte lebendiger, anhörbarer. Da entsprechende Leserwünsche mitunter an uns herangetragen werden, wollen wir uns dem nicht verschließen und sorgfältig und exakt konstruierten Breitbändern zuweilen im Heft eine Besprechung widmen – fair und sachlich, ohne devotes Gejubel.

Wobei ich mich aufgrund meiner entwicklungsbedingt ausschließlichen Orientierung an der professionellen Studiotechnik aus dieser Thematik auch fürderhin raushalten werde.

(von Winfried Dunkel, © 2006 Hörerlebnis)

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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