Auf der Werkbank steht ein ST-85 von VTL mit EL34 als Endröhren. Klasse. Die Freude („Mensch, ein Manley-Verstärker!“) wich schnell Ernüchterung, als die abgeschraubte Bodenplatte die Sicht auf das Innere frei gibt. Das soll Manley gemacht haben? Das kann ja heiter werden. Ganz ehrlich? Ich habe so etwas noch nicht gesehen. Nein, auch nicht vom „China-Mann“. „Habacht“-Modus activated.
Erst einmal orientieren. Und recherchieren. Nichts passte irgendwie zusammen. Was ist das für ein Verstärker? Wenn Sie die Hintergründe zu VTL-Manley noch nicht kennen, dann bitte das zuerst lesen. Dann versteht man diesen ST-85 besser.
Äusserlich macht der ST-85 eigentlich einen ganz passablen Eindruck und wirkt mit der dicken Alufront modern. Kein Bling-Bling, kein Schnick-Schnack. Ein alter Manley-Verstärker. Da gibt’s nichts zu „tunen“ oder „customizen“. Manley, eben. Der wusste, wie es ging.
Also „nur“ Reparatur, weil sich die Ruheströme nicht mehr einstellen liessen.
Von wegen „nur“ Reparatur
Gigantische Elkotürme (1200µF) flankieren den mittig angebrachten Netztrafo. Es stellte sich später heraus, dass weder Netztrafo noch Übertrager getränkt waren. Im Betrieb entwickelte sich der Netztrafo zu einem leisen Brummbär.
Laut Manual soll der ST-85 stolze 85 Watt produzieren können. Pro Kanal mit einem EL34-Paar. Okay, ich lasse das – weil von Manley – durchgehen. Kopfschüttelnd. Es stellte sich heraus, dass je zwei Elkotürme seriell beschaltet und damit die Kapazität halbiert wurde.
Platine? Man kann dazu Platine sagen. Montageplatte der Marke „pfiffiger Bastler“ wäre treffender. Den ST-85 verorte ich dann mal, angesichts der Bauteile, aus den frühen 1990’er Jahren. Vermutlich sogar aus den „Chaos-Tagen“ bei VTL.
Dreck und die Hinterlassenschaften von mindestens 30 Jahre schreien nach Grundreinigung. Im Chor mit dem Dreck das Überbleibsel des Flussmittels von dem alten Lötzinns, der sich kristalin ausgebreitet hatte. So etwas kann in Verbindung mit der Umgebungsluft Probleme bereiten und auch eine „undefinierbare“ elektrische Verbindung ist nicht ganz unmöglich.
Keine Frage: Da wurde schon repariert. Der „Habacht-Modus“ war ja schon lange aktiviert – die ersetzten Kathoden- und die Schirmgitterwiderstände mahnten zu noch grösserer Wachsamkeit. Wenn so etwas ersetzt werden muss, dann ist da mal „Action“ gewesen. Sind die dicken Elkos noch gesund? Ja, alles in Ordnung.
Wie auch immer: Die Reparaturstellen und der nachträglich angebrachte Berührungsschutz an den Elkos (Schrumpfschlauch an den Elkoanschlüssen) waren sinnig und gehen in Ordnung.
In der Eingangsstufe des ST-85 wird ein Tatalelko (bzw. zwei, weil Stereo) geortet. Keine Frage, das Teil wird als erstes ersetzt. Garantiert ein (zukünftiges) Problem weniger.
Tantalelkos
Wer diese alten Drecksdinger nicht kennt, hat was verpasst. Als diese Kondensatoren aufkamen, sollten sie Wunder bewirken können und man fand sie nahezu in allen Bereichen der Elektronik. Auch in der aufkommenden Digitaltechnik dienten sie zur Abblockung hochfrequenter Taktfrequenzen. Blöd nur, dass sie nur mit ganz sauberer Gleichspannung betrieben werden konnten, andernfalls zickten sie herum oder gingen gleich kaputt.
Ich hatte auch schon einmal tagelang einen Fehler gesucht, Bauteile ausgetauscht, bis zum Schluss der teuere Tantalelko ersetzt wurde und siehe da: Fehler verschwunden. Es ist allerdings ein Gerücht, dass die Tantalelkos für graue Haare in der R&F-Werkstatt gesorgt haben sollen. Die Werkstatt-Techniker wussten von den Macken bereits relativ früh…
Irgendwann wurde der Tantal-Grundstoff sehr, sehr teuer. Und damit auch diese Kondensatoren. Und plötzlich waren diese Kondensatoren gar nicht mehr so toll. So schnell wie die Tantalelkos aufkamen, so schnell verschwanden sie wieder. Finde ich heute noch so etwas, macht der schneller den Flieger, als der Lötkolben auf Temperatur ist. Drecksdinger, verfluchte.
Weiter geht’s mit der Schaltung
Der Phase-Splitter (Phasenumkehr) ist wechselspannungsmäßig an die Vorstufe angekoppelt. Damit die getrennten Phasen wirklich exakt gleich sind, ist ein „Phasengang“ einstellbar. Die Regler (Stereo!) waren aber hoffnungslos verstellt. Da so etwas den Schraubendreher ja magisch anzieht und man auch in die falsche Richtung drehen kann, wird der „Rauchzeichengenerator“ ausser Funktion gesetzt.
Damit sind die getrennten Phasen zwar nicht mehr akribisch genau gleich (man könnte auch sagen „Korinthenkackergenau“), aber wenn selbst andere Größen der Röhren-HiFi Szene damit leben können, dann sollte das wirklich keine Kopfschmerzen bereiten. Beim ST-75, aus gleichem Hause, findet sich so etwas auch nicht.
Die Vorstufe ist soweit also identisch mit ST-50 und ST-75. Die Unterschiede sind marginal. Pillepalle.