Headroom

Mit Headroom – im Deutschen etwa Aussteuerungsreserve – hat man als Konsument eigentlich wenig zu tun. Sich mit Headroom zu beschäftigen bleibt den Tontechnikern vorbehalten. In der Verstärkertechnik hat dieser Begriff zunächst eine andere Bedeutung, läuft aber letztendlich auf’s Gleiche hinaus.

Der Begriff »Verstärkungsreserve« würde es zwar treffender umschreiben, kollidiert jedoch mit der Begrifflichkeit der Bundeswehr. Funktioniert zwar ähnlich, aber als millitanter Pazifist bleibe ich bei Headroom.

Für Musiker ist der Headroom-Begriff allgegenwärtig und ist Bestandteil eines bestimmten Klangbildes. Im HiFi-Bereich taucht dieser Begriff an sich kaum auf, wohl aber, was damit gemeint ist. Lediglich beim Schaltungsentwurf kann es vorkommen, dass jemand von Headroom einer Verstärkerstufe spricht. Also eine »Verstärkungsreserve« ohne die die ganze Schaltung nicht so wie gewollt und gewünscht funktionieren würde (zB bei Gegenkopplung).

Die Tontechnik (Aussteuerungsreserve) hat mit der HiFi-Verstärkertechnik (»Verstärkungsreserve«) eins gemeinsam: Der Headroom sollte im Idealfall nicht genutzt werden. In der Verstärkertechnik allerhöchstens für Peaks, also Signalspitzen.

Headroom & Klang

Beeinflusst der Headroom den Klang? Meiner Meinung nach eindeutig Ja. Und zwar mehr als alle Klang-Zaubermittelchen dieser und der parallelen Welt zusammen. Vom Headroom kann man gar nicht genug bekommen.

Gemeint ist die Verstärkerleistung. Setzt man die maximale Verstärkerleistung mit 100% gleich, so kommt man mit der gängigen Faustformel, dass ein Verstärker »nur« bis zu etwa 70% verzerrungsfrei auszusteuern ist, sehr nahe.

Die ersten 25% der maximalen Verstärkerleistung ist der »normale« Bereich mit dem man Musik hört. Dann folgen 50% Reserve (Headroom) und schlussendlich wieder 25%, wo der Verstärker an seine technischen Grenzen gerät.

Mit dieser »25-50-25 Faustformel« lässt sich erstaunlich gut arbeiten.

Klangentscheidend wird das deshalb, weil der Verstärker im ersten 25%-Bereich sehr »sauber« arbeitet (arbeiten sollte). Je mehr im Headroom-Bereich ausgesteuert, desto mehr sounded der Verstärker. Bei Halbleiter- und Röhrenverstärker ist das allerdings unterschiedlich.

Halbleiterverstärker

Mit einem 30W-Verstärker braucht man sich heute eigentlich erst gar nicht blicken zu lassen. Einhundert Watt und noch viel mehr sind an der Tagesordnung. Na klar wird soviel Watt im Wohnzimmer nicht benötigt. Selbst mit 70dB Dreiwege-Designer Schallwandler nicht.

Anders als in der Röhrentechnik ist die Halbleitertechnik an sich frei von unerwünschten Nebenwirkungen. Und trotzdem wird man Unterschiede zwischen einem 30-Watter und einem 300W-Kraftwerk sofort hören. In etwa die gleiche Schaltungstechnik vorausgesetzt. Das hat zunächst nichts mit den Bauteilen oder gar der Schaltung an sich zu tun. Es liegt einfach nur an der Reserve.

Und natürlich am Netzteil, die diese Reserve auch noch stabil füttern könnte. Das soll jedoch – um es nicht ausufern zu lassen – mal aussen vor bleiben.

Beispiel

Muss man einen 30W-Verstärker Lautsprecherbedingt bis auf 5W ausfahren, dann ist man – nach der zuvor genannten Faustformel – doch schon recht nahe am Bereich, wo die Reservezone beginnt. Ein kräftiger Bassimpuls kann sich da schon im mittleren Headroom-Bereich abspielen.

Das kann sich »angestrengt« anhören, unter Umständen machen sich Verzerrungen bemerkbar, die gerade bei Halbleiterverstärker in diesem Reservebereich sprunghaft ansteigen.

Mit »Bemerkbar« meine ich, dass sich das messtechnisch deutlich erfassen lässt. Messtechnik und Klang sind allerdings zwei Paar Schuhe. Verzerrt es aber deutlich hörbar, dürfte da etwas ganz schief laufen… Oder der Gitarrenverstärker steht auf max. Distortion.

Das gleiche Szenario mit einem 300W-Verstärker… Da braucht man noch nicht einmal überschlägig zu rechnen: Das juckt dem Verstärker überhaupt nicht. Der Headroom-Bereich beginnt (theoretisch) ja erst bei 75W. Und diese Grenze wird man im Leben nicht ereichen. Vielleicht in 100 Jahren, wenn es nur noch 50dB-Tröten gibt…

Röhrenverstärker

Prinzipiell das Gleiche in grün. Nur mit dem Unterschied, dass – besonders im Single-Ended Bereich – vielfach andere Lautsprecher verwendet werden (müssen). Solche, die mit der Technik an sich (geringer Dämpfungsfaktor) und den oft »mickrigen« Leistungen zurecht kommen.

Es also möglich machen, auch bei maximalen 8W einer 300B den Headroom-Bereich vielleicht gerade einmal anzukratzen – wenn’s schlimm kommt. Zwei Watt an 96dB oder 100dB/W/m Lautsprecher verursachen einen ohrenbetäubenden Lärm. Da fliegt das Ohrenschmalz… Ein einziges Watt dürfte dagegen noch erträglich sein und der Headroom-Bereich bleibt unangetastet.

Wer aber einen Röhrenverstärker fährt, der will ja einen gewissen Klang. Also Klirr. Oder, etwas schöner ausgedrückt: Oberwellen. Also die (ausgewogene) Mischung aus grad- und ungradzahligen Oberwellen. Und genau diese ausgewogene Mischung ist im unteren Leistungsbereich (25%) noch gegeben. Je mehr man nun in den Headroom-Bereich kommt, desto mehr wird die Oberwellen-Mischung unausgewogen – es fängt an zu sounden. Das muss nicht schlecht sein.

Auf der anderen Seite die Röhrenverstärker, die mit 30, 50 oder gar 70 Watt daherkommen. Theoretisch müssten diesen Verstärker auf die gleiche Art Lautsprecher zuarbeiten, wie im Single-Ended Bereich. Zumindest ähnliche. Also 90dB mit hart aufgehängten Membranen sollten die Lautsprecher schon haben.

Tut es eben nicht so oft und so läuft so mancher 30- oder 50-Watter im Headroom-Bereich. Klanglich mag das ja gefallen, rein technisch gesehen aber keineswegs ideal. Auch mit der Folge, dass ein kräftiger Bassimpuls dann nicht mehr Bumm macht, sondern – weil keine Reserve mehr – Boohm.

Wie auch beim Halbleiter-Kollege wird mit einem 500W Aktiv-Subwoofer »aufgerüstet«. Meiner Meinung hat man damit nicht das Problem gelöst (Lautsprecher oder stärkeren Verstärker), sondern nur an den Symptomen herumgedoktert.

frihu’sche Klangtheorie?

Quatsch. Nein. Vom Prinzip her ist diese Theorie schon etwas älter. Alter Hut, kalter Kaffee. Ich hab’s nur anders formuliert. Was man auch immer davon hält – Humbug ist das nicht. Probieren Sie’s aus. Wenn Sie über 25% kommen, um überhaupt gut Musik hören zu können, ist etwas falsch. Diese Theorie ist es jedenfalls nicht.

Soweit mir bekannt, war es Nobu Shishido, der diese Theorie begründete (Japan-Fan Hiraga hat’s »natürlich« übernommen und nach Europa importiert). Shishidos Theorie: »Es kommt auf das erste Watt an». Wieviel das auch immer sein mag. Das erste Watt – da spielt die Musik. Der Rest ist Headroom.

Die »25-50-25 Faustformel« (Faustformel, kein Datum) scheint auch einigermaßen stimmig zu sein. Nelson Pass hatte beispielsweise mit seinem 25W »First Watt J2»-Verstärker genau dieses Prinzip verfolgt. Interessant sind da die Messdiagramme…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

Kommentare sind geschlossen.