VTL-Röhrenverstärker

Fragwürdiges Marketing

Bewusst beiläufig wurden oft auch die gigantischen Siebkapazitäten in’s Spiel gebracht, allein um »Potenz« zu vermitteln. Gerne liess und lässt man das auch durch die Presse vermitteln.

Nicht erwähnt wurde (und wird), dass oft zwei dieser Kapazitätsgiganten seriell geschaltet wurden. Damit halbiert(e) sich dann die Kapazität. Übrig blieb bzw. bleibt aber noch genug…

Heute vermittelt man die »Potenz« (beiläufig) in einer anderen Einheit. Statt Kapazität ist es die speicherbare Energie (Energiegehalt) der Siebkondensatoren (in Joule)!
Gesehen beim aktuellen ST-150 Modell:

High energy storage power supply >200 joules

Hinweis: Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass zuviel Joule nicht »Potenz«, sondern vielmehr eine potente Waffe ist. Abgesehen davon besteht hierfür bei Röhrenverstärker keine Notwendigkeit.

Manley hin, VTL her: Die Energie, die da im schlimmstenfall frei wird, will ich nicht erleben. Stellen Sie sich 10 Rocky Balboas vor, die Ihnen gleichzeitig – in der ersten Runde – die harte Linke in’s Gesicht platzieren. Die zweite Runde können Sie vergessen. Falls Sie überhaupt noch in der Lage sind, vergessen zu können… Lassen wir das.

Schaltpläne

Die Schaltpläne, die man heute findet, wirken auf den ersten Blick vertraut. Nichts, aber auch wirklich nichts, deutet darauf hin, dass sie es Faustdick hinter den Ohren haben. Meist fehlt nämlich jede Spannungsangabe.

Die Vorstufe ist, bis auf Details, nahezu gleich. Egal, welches Modell. Aber…

VTL- und Manley-Verstärker arbeiten, wie angedeutet, mit einer aussergewöhnlich hohen Betriebsspannung – aber mit verhaltnismäßig niedrigen Ruheströmen. Da liegt ein Teil des Geheimnisses. So schrammte man an »Class-B« vorbei. Dazu kam eben auch die Ultralineartechnik.

Normalerweise erkauft man sich die Vorteile von Ultralinear mit Leistungseinbußen. Die Manleys kompensierten das eben mit höherer Betriebsspannung (grob formuliert).

Das setzt(e) nun zwingend wirklich selektierte Röhren voraus. Ein grosser Nachteil. Es ist nun einmal Tatsache, dass heute nicht jede Röhre unter diesen Betriebsbedingungen »glücklich« wird.

Für ältere VTL-Geräte gilt grundsätzlich: Das, was man hat, muss nicht unbedingt mit dem übereinstimmen, was laut Schaltplan, vorhanden sein müsste. Ungekehrt allerdings auch. Das kennt man heute ja eher von Verstärkern aus dem Land der Mitte.

All’ das ist vermutlich auch ein Grund, warum sich VTL-Verstärker doch recht häufig im Gebrauchtgeräte-Pool finden. Heute sind Gebrauchtgeräte am Markt, bei denen man wirklich ganz genau hinschauen sollte. Es kann durchaus vorkommen, dass man an einen Verstärker gerät, der wohl aus den »Chaos-Tagen« von VTL stammte…

Die Gegenwart

Luke Manley (mit VTL) hat übrigens die Entwicklungen seines Vaters »entschärft« – was die Watt-Angabe betrifft. Auch der größte Bestand an sehr guten Röhren wird irgendwann einmal kleiner…

Von der Ultralineartechnik hat man sich scheinbar verabschiedet und erkannt, dass der Pentoden- bzw. Tetrodenmodus gar nicht so schlecht ist – wenn man Leistung haben will.

Kein Unternehmen der Welt kann es sich leisten, am Markt vorbei zu produzieren. Die heutigen VTL-Verstärker besitzen daher einen Umschalter »Tetroden- / Triodenmodus«. Das soll sogar im laufenden Betrieb funktionieren… Nunja.

Auch optisch haben sich die Verstärker gewandelt. Weniger Industriedesign… Nur eins ist geblieben:

Man(n) hört einen »atypischen«, sehr kräftigen, V8-Röhrensound.

Bilder zum grössten Teil Netzfunde.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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