Sagenhaft! Die legendären Brüder Romulus und Remus zusammen mit der griechischen Nymphe Kalypso in einer postmodernen Abhandlung der Audio-Röhrentechnik? Neue Legenden, Sagen, Mythen? Nix da. Das sind alles Bezeichnungen von Röhrenverstärkern eines englischen Unternehmens. Man hat es dort mit der römischen und griechischen Mythenwelt. Warum auch nicht?
»Mein« Röhrenverstärker ist geschätzte zwanzig Jahre alt und hört auf den Namen Remus. Häufiger »Werkstatt«-Gast zwecks »Wartung«. Nun hat die »Werkstatt« dicht gemacht und so steht er eben hier. Ahnen Sie was? Häufiger Gast. Irgendwas war scheinbar immer. Diesmal störte »nur« das starke Brummen auf einen Kanal.
Mir ist der Verstärker gänzlich unbekannt. Aber kein Problem. Ein über 20 Jahre alter Röhrenverstärker ist garantiert irgendwann mal dokumentiert worden. Und irgendwer hat das auch im Netz gestellt. Irgendwie war das aber ein Schuss in den Ofen. Man findet etwas, aber nicht das, was man sucht. Wie ich das wieder liebe…
Dass diese Sagen- und Mythen-Verstärker relativ unbekannt sind, kann viele Ursachen haben. In diesem Fall mag das daran liegen, dass »mein« Remus Röhren-Voll-Verstärker eben nicht die offizielle Röhren-End-Stufe ist, den die Herstellerfirma präsentiert. »Mein« Remus sieht eher aus wie der Romulus. Da passt aber die Röhrenbestückung überhaupt nicht zusammen. Immerhin ist übereinstimmend zu erfahren, dass man von »After Sales Management« oder Service eine eigene Auffassung hat(te). Klanglich soll’s auch nicht so der Hit gewesen sein. Nur nicht aufgeben… Irgendwann taucht er auf, der Schaltplan. Notfalls muss man den eben herauszeichnen.
Laut Besitzer war dieser Remus ein richtiges Erfolgsmodell. So erfolgreich, dass man diesen Verstärker kurz nach Erscheinen wieder einstampfte und ihn bis heute verleugnet. Das hat noch nicht einmal der Gründer Roms, also Romulus, fertig gebracht. Es sind von diesem Verstärker also nur ganz wenige Exemplare im Umlauf. So sie denn überhaupt die Jahrtausendwende überlebt haben.
So werden Legenden geboren!
Zufällig und nach langer, sitzender, Internetrecherche (arg Tromboseverdächtig) finde ich einen Schaltplan, zumindest so »im Groben«. Unter dem Namen der griechischen Nymphe Kalypso. Na bitte. Bis auf die Endröhren (EL84 bei Kalypso, KT90 bei Remus) und natürlich Details bei der Röhrenschaltung ist Kalypso mit »meinem« Remus nahezu identisch. Vermutlich passt er sogar zu Romulus… Später finde ich noch ein Plan mit Spannungsangaben. Doch dazu später. Trotzdem im Hinterkopf behalten.
Remus intimus
Bis auf wenige Ausnahmen findet sich die Stücklistenbezeichnung (R1, R2, R3… bzw. C1, C2, C3…) des Kalypso-Schaltplans auch Eins zu Eins auf »meiner« Platine wieder. Sogar die Bauteilwerte stimmen. So weit, so gut. Oder auch nicht.
Leistungsmäßig soll(te) mein Verstärker mit den KT90 etwa 50 Watt pro Kanal an die Lautsprecher bringen. So rein von der Betriebsspannung und der Röhrenbestückung könnte das passen. Wird immer besser.
Wenn man sich nun den Kalypso-Schaltplan so betrachtet, dann fällt zunächst die »aussergewöhnliche« Beschaltung der Endröhren, des Übertragers und der Phasenumkehrstufe auf. Besonders die Beschaltung der Endröhren bzw. des Übertragers irritiert. Das sieht doch so ähnlich aus wie… Das gab’s doch schon einmal… Ist das nicht wie McIntosh? Oder Quad?
Nein, ein McIntosh ist das nicht. Und es ist nicht Quad. Zumindest nicht in Reinkultur. Im Schaltplan des Quad II findet sich jedoch prinzipiell alles wieder. Bis eben auf die gekreuzten Schirmgitter (da war doch mal ein Bericht in einer Funkschau-Ausgabe…) und die Art der lokalen Gegenkopplung von Endröhrenkathode auf Phasenumkehr. Und dieses Detail ist das Einzigste, was der Remus irgendwie mit gaaanz alten McIntosh-Verstärkern aus den 1940’er Jahren (Rufzeichen) gemein hat. Allerdings hat man bei McIntosh damals erkannt, warum man das so nicht machen sollte…
Phasenumkehr Paraphase?
Die Phasenumkehrstufe sieht aus wie eine Paraphase, mag auch vielleicht eine Paraphase sein. Funktioniert praktisch nur nicht so. Zumindest nicht so wie gedacht.
Es blieb mir nichts anderes übrig, als alte Literatur zu wälzen, um herauszufinden, was ich da vor mir habe. So, in dieser Art, findet sich… Nichts. Teilaspekte ja, aber nie nicht zusammen. Gut das man Leute kennt, die man fragen kann und darf (darunter so alte Hasen, die schon mit Willamson im Taufbecken planschten). Also konferieren wir mal und hören gut zu, was die Anderen sagen. Ich kann es kurz machen: Ich kann mit der Ratlosigkeit einen Club aufmachen.
Das die Sache mit den kreuzgekoppelten Schirmgitteranschlüssen nicht so gut funktioniert, ist schon lange bekannt. Wenn’s funktionieren würde, warum hat sich diese Technik dann nicht durchgesetzt? Und wenn man schon ‘ne (floating) Paraphase einsetzen will, dann »büddeschön« auch richtig. In anderen Verstärkern funktioniert sie nämlich. Warum also so eine schaltungstechnische »Krücke« bei der Elementares (Gegenkopplung, Phasenumkehr) irgendwie von hinten durch die Brust ins Auge funktioniert.
Die »Hochfrequenzbastler« kennen die Sache mit den gekreuzten Schirmgittern. Man bekommt damit einen astreinen Oszillator – auch wenn jemand das vor Urzeiten mal als Super-Pentoden Schaltung verkaufen wollte (was nur dann funktionierte, wenn ganz viel gegengekoppelt wurde, um den Verstärker wieder ruhig zu bekommen).
Ob Sie’s glauben oder nicht: Das allein hat gut und gerne zwei Wochen gedauert. Nur um überhaupt etwas an diesem Verstärker zu tun, sind zwischenzeitlich defekte Bauteile ersetzt worden. Zumindest die Siebelkos, den Rest habe ich mir, wohlweislich, gespart.
Sie ahnen es vielleicht: Diese Saga wäre dem Besitzer, Ihnen und mir erspart geblieben, wenn da nicht was anderes gewesen wäre…